Bochum.. Lange Zeit war das Rasieren der männlichen Bartstoppeln eine sehr private Angelegenheit. Mit dem Trend, wieder Bart zu tragen, kümmern sich allerdings immer mehr Profis um den Wildwuchs in Männergesichtern. Der Barbier ist also zurück, dabei war die alte Handwerkstradition fast schon ausgestorben.
Struppig oder gepflegt, buschig oder flaumig, üppig oder spärlich: Seitdem zahlreiche Hollywoodstars, Fußballprofis und auch einige Geistesgrößen es vorgemacht haben und wieder Haare im Gesicht tragen, lassen auch hierzulande immer mehr Männer ihren Bart sprießen. Doch gelegentlich muss der zuweilen wilde Bewuchs gestutzt oder sogar wieder abgenommen werden – möglicherweise auf Drängen der holden Weiblichkeit. Wer dann ein blutiges Gemetzel vor dem heimischen Rasierspiegel scheut, sollte sich in die Hände eines Profis begeben. Denn es gibt ihn wieder: den Barbier.
Fast wäre diese Handwerkstradition in Deutschland jedoch ausgestorben, denn ein Ausbildungsberuf ist der Barbier (der im Mittelalter übrigens auch Zähne zog und zur Ader ließ) schon seit langer Zeit nicht mehr. Die Erfindung des Rasierhobels Ende des 19. Jahrhunderts läutete den allmählichen Niedergang der Bartschneide-Kunst ein, Elektrorasierer und billige Einwegklingen gaben ihr fast den Rest. Aber eben nur fast: Neben einigen Herrenfriseuren trotzten vor allem Barbiere aus Südeuropa und den USA dem vermeintlichen Fortschritt, unterhielten sie doch nicht einfach nur irgendein Bartschneide-Geschäft, sondern in Zeiten der Emanzipation vielmehr einen der letzten Rückzugsorte für Männer.
Aus den Lautsprechern kommt Indie-Rock
„In den USA hat der Barber-Shop eine große Tradition. Dort gehen die Männer nicht nur zum Rasieren hin, sondern führen Gespräche oder spielen eine Partie Backgammon“, sagt Friseurmeister Sven Reisner (40), der seit acht Jahren in Bochum das „Herrenzimmer“ betreibt. Der Name ist Programm. Hier erhält der Mann nicht nur einen passenden Haarschnitt, sondern auch eine gepflegte Rasur – und zwar nach allen Regeln der Kunst und vor allem in einem entsprechenden Ambiente. Im Eingangsbereich des Herrenzimmers empfängt den Kunden ein zünftiger Tischkicker, weiter hinten stehen neben bequemen Ledersesseln drei sportliche Mountainbikes als Blickfang. Und im Hintergrund dudelt nicht irgendein Schlagersender, sondern es kommt knackiger Indie-Rock aus den Lautsprechern.
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Die Arbeit mit dem Messer an Hals, Wange und Kinn hat der Bochumer noch in seiner Ausbildung gelernt. Anwenden konnte er sie in seiner beruflichen Praxis zunächst kaum. Die meisten Friseursalons seien stark auf die Bedürfnisse der Frauen ausgerichtet, sagt Reisner, dem Sätze wie „Gabi, kannst du dem Herren mal kurz die Haare schneiden?“ noch in guter Erinnerung sind. Mit der Eröffnung seines Herrenzimmers setzte er einen anderen Akzent. Und Männer aus fast allen Altersgruppen, aus fast allen Schichten kommen inzwischen zu ihm.
Für Wartende gibt es Kaffee - und kaltes Pils
Nur ein wenig Zeit sollte mitgebracht werden. „Termine gibt es bei mir nicht“, sagt Sven Reisner. Den ganzen Tag nach der Uhr zu leben, das sei nichts für ihn. „So habe ich auch mehr Zeit für Gespräche, die sind ja nicht automatisch immer nach exakt einer halben Stunde beendet.“
Während Mann also beispielsweise auf seine Rasur wartet, kann er die Zeit nutzen, um sich bei einem Kaffee oder kalten Pils die aktuelle Ausstellung anzuschauen. Ausstellung? Tatsächlich: Zurzeit zieren die Werke der jungen Malerin Anna Vrieling die Wände. Alle sechs bis acht Wochen wird ein neuer Künstler mit seinen Exponaten im Herrenzimmer präsentiert, das somit zugleich auch Galerie ist.
Der Barbier Sven Reisner steht indes nicht allein auf weiter Flur, den klassischen Herrensalon wieder zu etablieren. Ob in Hamburg, Berlin, oder München – in allen größeren Städten kehren die Barbiere zurück – auch wegen der vielen Bärte, die zurzeit zu schneiden und zu stutzen sind. Reisner ist sich jedoch sicher, dass der Trend, wieder Bart zu tragen, bloß eine Welle ist, die wie die Beckham-Frisuren oder die Justin-Bieber-Tollen irgendwann auch wieder abebben wird. Und dann wird wieder glatt rasiert. Bleibt die Frage, wer eigentlich dem Barbier den Bart abnimmt? „Ich selbst.“
Und so rasiert der Barbier
Einseifen und los geht’s. Von wegen! Eine Rasur beim Profi ist aufwändiger als das heimische Gesichtsgekratze und benötigt Zeit. Und so macht es Sven Reisner:
1 Erstes Einseifen
Der Barbier verwendet eine spezielle Rasierseife, die er in der Dose anrührt und mit einem kleinen Pinsel auf den Bartstoppeln ordentlich aufschäumt. „Drei bis fünf Minuten sollte der Schaum dann einwirken“, sagt Reisner. Denn nur so quillt das Barthaar richtig auf, wird butterweich und damit bereit für die Klinge. Unterstützt wird die Einwirkzeit zudem durch eine Wärmekompresse – das ist herrlich entspannend. Dann wird das Messer gezückt und mit dem Strich rasiert. „Die kniffligste Stelle ist zumeist das Kinn“, sagt Reisner. Also doch nicht die Kehle.
2 Zweites Einseifen
Die Prozedur wird wiederholt. Wieder muss der Schaum mindestens drei Minuten einwirken. Dann führt der Barbier erneut das Messer – diesmal allerdings gegen den Strich. Die superscharfe Klinge, die Reisner verwendet, stammt übrigens aus der Türkei.
3 Dritter Durchgang
Möglicherweise haben sich einige widerspenstige Barthaare noch gegen die ersten beiden Schnitte gewehrt, sie haben aber keine Chance. Erneut wird eingeseift, eingewirkt und rasiert – an problematischen Stellen eventuell mit einem Rasierhobel.
4 Reinigung
Nun endlich ist der Bart ab. Die Haut wird nun noch von den Seifenresten gründlich gereinigt und erhält danach eine kühlende Kompresse, die ein Weilchen aufgelegt wird.
5 Die Pflege
Wird es jetzt weh tun? Keineswegs! Denn hochprozentiger Alkohol kommt nicht zum Einsatz. „Das ist ein Western-Klischee“, sagt Reisner, „damals ergab das Sinn, nach der Rasur mit Alkohol zu desinfizieren – wegen der schlechten hygienischen Verhältnisse.“ Der Barbier verwendet statt dessen eine milde Buttermilch-Lotion mit Aromen von Whiskey und Zedernholz. „Eine Alternative ist eine Tagescreme am besten mit Lichtschutzfaktor gegen Rasurbrand.“ Die Rasur kostet übrigens zehn Euro.