Washington. Kunstvoll zelebriert Dolly Parton das einfache Leben – auch auf ihrem neuen Album. Die amerikanische Country-Ikone ist aber mehr als Musik; sie ist ein Gesamtkunstwerk. Ihr Körper diente bisher einer Legion von Schönheitschirurgen als Übungsfeld. Parton steht dazu.
Die Holzhütte ohne Strom, fließendes Wasser, in der sie 1946 mit elf Geschwistern aufwuchs, ist originalgetreu nachgebaut. Genau wie der Saloon aus Nashville, wo sie mit 12 ihren ersten Auftritt hatte. Aus der Juke-Box trällern ihre Klassiker wie „Jolene“, „9 to 5“ und das von Whitney Houston tränendrüsig zur Vollendung gebrachte „I Will Always Love You“. In den pickepackevollen Restaurants nebenan stehen ihre Lieblingsspeisen wie Hickory-Hähnchen und süßes Popcorn auf der Karte. Und die Kellnerinnen sind angezogen wie das Dorf-Flittchen, nach dessen Vorbild sich Dolly Parton einst kleidete. Überzeichnet, schrill, auf ihre sehr eigene Art wunderschön.
Wer die Verehrung für Amerikas kuriosesten und geschäftstüchtigsten Showstar verstehen will, der nun ein neues Studio-Album herausbringt und nach Jahrzehnten der Abstinenz im Sommer wieder in Deutschland gastiert, der muss in die Knüste fahren. Great Smoky Mountains National Park. Appalachen. Tennessee. Ein saftig grünes Stück Postkarten-Hinterwald von saarländischen Ausmaßen, wo der Himmel voller Banjos hängt, die Menschen Bodenständigkeit und Gottesfurcht durch die Nabelschnur einsaugen und trotzdem hinterher Whiskey trinken. Hier, im kleinen Örtchen Pigeon Fork in der Nähe von Knoxville, liegt „Dollywood“.
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Drei Millionen Menschen bevölkern Jahr für Jahr den auf 150 Hektar Kitsch und Kalkül gebauten Vergnügungspark, der sich rund um die kleinste Gigantin der amerikanischen Unterhaltungsbranche dreht. Mit 4000 selbst geschriebenen Liedern, einem immer noch gebirgsbachklaren Sopran und über 100 Millionen verkauften Alben hat Dolly Parton bis heute mehr Geld verdient als jede andere Frau in der Geschichte der Popmusik. Im chronisch strukturschwachen Tennessee ist das auf eine halbe Milliarde Dollar Privatvermögen geschätzte Multitalent mit über 2000 Angestellten der größte Arbeitgeber. „Dolly ist hier wichtiger als der Präsident in Washington“, sagte vor einigen Wochen der Koch im „Backstage Restaurant“ dem Besucher aus Deutschland.
Blond und dumm? Dolly Parton ist beides nicht
Vorgezeichnet war diese Karriere, die den Besitz von Plattenlabeln, Musikverlagen, Restaurantketten und Kosmetikserien einschließt, nicht. Die Bauern-Familie war bitterarm. Nirgends eindringlicher zu hören als in „Coat of Many Colors“. Ein nah am Wasser gebautes Lied über den ersten Wintermantel, den ihre Mutter aus Flicken für sie nähte. Lange nach dem Hit aus den 60er-Jahren, der ihren Ruf begründen sollte: „Dumb Blonde“. Dummes Blondchen? Auch wenn sie bis heute keine Noten lesen kann: von wegen.
Dolly Parton ist weder dumm, noch blond. Wie lange es dauert, bis ihre platinblonde Zuckerwattenfrisur auf Ausgehformat toupiert ist, weiß sie nicht. Sie ist nie dabei. Perücke. Auch darunter ist kaum etwas naturbelassen geblieben. An Partons Körper haben Schönheits-Chirurgen mehr Sonderschichten gefahren als an Pamela Anderson, Melanie Griffith und Wolfgang Joop zusammen. Einige Regionen ihrer 150 Zentimeter-Statur (in High Heels) wirken wie 29, andere wie 49. Und manche sehen so alt aus wie sie wirklich sind: 68 Jahre.
Das Abgeschmackte wirkt nie unehrlich
Dass die Parton ihren Körper als Dauerbaustelle begreift und sich umgehend unters Messer legt, „wenn irgendwo was hängt oder flutscht“, hat ihrer Beliebtheit auch im tief religiösen Süden Amerikas keinen Abbruch getan. Ebenso die Tatsache, dass man ihren seit knapp 50 Jahren anverheirateten Mann Carl Dean noch nie gesehen hat und sich hartnäckig Spekulationen über eine Liebesbeziehung zu ihrer Geschäftspartnerin und Dauerfreundin Judy Ogle halten.
Dolly Partons Erotik mag manchen abgeschmackt erscheinen. Aber das Cartoonhafte wird niemals unehrlich. Ihre Künstlichkeit ist authentisch. Wie das große Herz hinter der sorgsam restaurierten Fassade. Die besten Sprüche dazu sind von ihr selbst. Spitzenreiter: „Es ist echt teuer, so billig auszusehen.“