Hürth. Gewalt und Mobbing in der Schule sind nicht nur ein Problem unter Schülern. Auch Lehrer schlagen immer wieder zu. Zahlen gibt es fast nicht – die Bundesländer als Dienstherren erheben sie nicht. Der Verein für "Kinder in Schulnot" kritisiert: "Lehrer können sich erlauben, was sie wollen."
Wenn man sie so reden hört, man könnte Catrin Lange zunächst für eine durchtrainierte GEW-Funktionärin halten: „Die Arbeitsbedingungen der Lehrer haben die Grenzen der Zumutbaukeit erreicht”, sagt sie etwa. Wenn sie aber später von „therapeutischer Hilfe” spricht, fällt das schon etwas aus dem Rahmen, und das Bild wird dann völlig auf den Kopf gestellt mit einem entschiedenen Satz wie: „Schule ist ein rechtsfreier Raum, als Lehrer können sie sich erlauben, was sie wollen.”
Verein gegen Gewalt und Mobbing durch Lehrer
Lange, Juristin und gelernte Mediatorin, hat in Hürth südlich von Köln 2007 den Verein „Kinder in Schulnot” gegründet, „Kischuno”; der wächst langsam und wendet sich vor allem gegen Gewalt und Mobbing durch Lehrer. „Mein Schrank ist voll mit Fällen, dass Lehrer schubsen, kneifen, boxen und heruntermachen”, sagt die 47-Jährige.
Aus vielen Fällen, die Eltern ihr schilderten, nimmt sie bisher rund 100 ernst: Da sollen Kinder sich zur Wand drehen und bekommen einen Tritt, da folgt den Worten „Jetzt gibt's blaue Flecken” ein Boxschlag auf den Arm; da werden Kinder nach falschen Antworten mit einem Kreidekreuz auf der Stirn markiert, werden Gesichter mit dem Tafelschwamm gewaschen. So kratzt sie an der öffentlichen Meinung, bei Gewalt in der Schule seien Lehrer immer die Opfer und Kinder immer die Bösen – eine öffentliche Meinung, die vor allem eins beweist: wie vergreist das Land ist, wie weit weg von Jugend.
Schulleiter stellen sich schützend vor die Lehrer
"Kinder in Schulnot"
„Kinder in Schulnot” kann betroffene Eltern und Schüler vor allem beraten und mit anderen zusammenführen, spricht aber auch auf Wunsch Schulleitungen an oder, wenn sich da nichts tut, die Bezirksregierungen.
Freilich müssen die Eltern dazu bereit sein, sind es aber meistens nicht. „Viele haben eine unglaubliche Angst um den Schulerfolg ihres Kindes und sind wie gelähmt, wenn sie sich gegen Lehrer wehren sollen”, sagt Matthias Burchardt (42), Vorstandsmitglied bei Kischuno und selbst als Pädagoge in der Lehrerausbildung tätig.
Indes: Zahlen zur Lehrergewalt gibt es fast nicht – die Bundesländer als Dienstherren erheben sie nicht. Eine der wenigen Untersuchungen besagt, dass „Gewalt (Mobbing) von Lehrern gegen Schüler ebenso verbreitet ist wie von Schülern gegen Schüler”; eine andere Studie aus Bremen aus dem Jahr 2003 kommt zu dem Ergebnis, ein Viertel der Schüler werde von Lehrern verhöhnt, und jeder 20. habe Lehrergewalt erfahren. „Diese Situation ist im Großen und Ganzen gleich geblieben”, sagt der Sozialwissenschaftler Frank Meng, der in diesen Monaten neue Zahlen sammelt. Aber das ist ausgesprochen schwer, denn „es gibt eine falsch verstandene Solidarität. In der Regel sehen sich Schulleiter als Lehrer und stellen sich schützend vor den Kollegen”.
Ähnlich wie Kischuno befasst sich auch der Verein „Lernen ohne Angst” in Brandenburg mit Lehrergewalt. Auf der Basis von Zeitungsberichten hat die Vorsitzende Angelika Bachmann eine alphabetische Liste mit Übergriffen ins Netz gestellt, und man wird fündig unter praktisch jedem Buchstaben. „Bayern: Watsch'n-Lehrer verurteilt . . . Hiddenhausen: Grundschüler von Lehrer gewürgt . . . Wellingsbüttel: Lehrerin hängt Schüler am Haken auf . . . Zweibrücken: Lehrer hänselt und beleidigt Schüler . . .” Und so weiter, und so fort . . .
„Bei körperlicher Gewalt würde ich von Einzelfällen ausgehen, wo die Schulaufsicht tätig werden muss. Aber Mobbing ist unstreitig ein Thema. Bloßstellen, heruntermachen, nicht beachten”, sagt Professor Heinz-Werner Pölchau: „Da geht es um Änderung der Einstellung von Lehrern, das kriegen Sie nicht per Erlass hin.” Viele Jahre ist es her, aber Pölchau hat nie vergessen, dass sein Lehrer ihm riet, beruflich die Lottobude anzusteuern. Erstens war das beleidigend gemeint, zweitens vor all den anderen, und drittens lag der Lehrer sehr, sehr falsch – Pölchau leitet heute das Referat „Werteerziehung” im Schulministerium.
"Vorne Körbchengröße C, oben absolutes Vakuum"
Mobbing und Gewalt, Gewalt und Mobbing: In Catrin Langes Akten sind Sprüche vom Pult zitiert, die glaubt man nicht. „In ein paar Wochen gibt es Zeugnisse, dann bin ich Dich los . . . Vorne Körbchengröße C, oben absolutes Vakuum . . . Was sagt denn unser Schoko dazu?” Darauf angesprochen von Eltern oder Schulleitern, redeten die betreffenden Lehrer sich häufig heraus: War ja nur Spaß. Oft, sagt Lange, würden solche Fälle auch von den Schulen selbst beschwiegen oder bagatellisiert. Nun baut sie eine Selbsthilfegruppe auf für solche Lehrer, die, gestresst oder ausgebrannt, in sich selbst merken, dass sie loszuschlagen drohen. „Der einzige Weg ist, die Arbeitssituation für Lehrer zu verbessern”, sagt Lange.
Ähnlich sieht das Klaus Wenzel, der stellvertretende Bundesvorsitzende des „Verbandes Bildung und Erziehung”: In der Lehrer-Ausbildung müsse eine viel größere Rolle spielen, seine Arbeit zu reflektieren. „Wenn Sie im schwierigen Umgang mit 28 bis 30 pubertierenden Menschen im Kopf haben, das geht jetzt nicht gegen mich als Mensch, das geht gegen mich als Institution, sinkt die Gefahr, falsch zu reagieren”, sagt Wenzel. Schläge oder böse Worte von Lehrern könne man erklären, doch nicht entschuldigen. „Da wird immer gleich gesagt, jedem kann mal die Hand ausrutschen”, sagt Wenzel: „Aber das geht einfach nicht. Welchem Kollegen ist denn schon mal beim Schulrat die Hand ausgerutscht?”
- Diskussion: Wenn Lehrer mobben