Pretoria. . In Südafrika ist es Volkssport geworden, Ex-Sportstar Oscar Pistorius zum Watschenmann zu machen. Doch im Prozess um den gewaltsamen Tod seiner Freundin Reeva Steenkamp schrumpft der Angeklagte immer mehr zu einem Häuflein Elend zusammen. Das Drama spitzt sich von Tag zu Tag zu.

Wer erwartet hatte, dass sich der Prozess gegen Oscar Pistorius allmählich im juristischen Dick­icht verliert, sieht sich getäuscht. Auch nach sieben Verhandlungstagen hat das Interesse an dem Fall des gestürzten Ausnahmesportlers keineswegs abgenommen – im Gegenteil: Das Drama im Saal GD des Landgerichts von Pretoria spitzt sich von Tag zu Tag zu.

Nachdem die erste Woche mit den Aussagen von Zeugen der Vorgänge in Pistorius’ Villa in der Tatnacht im Februar des vergangenen Jahres verstrich, begann die zweite Woche mit einem traumatischen Höhepunkt: der gruselig-detaillierten Schilderung des Pathologen Gert Saayman zu den Verletzungen Reeva Steenkamps. Wie berichtet, übergab sich der 27-jährige Spitzensportler mehrmals und hielt sich die Ohren zu und brach schließlich zusammen. Keine Frage: Oscar Pistorius ist ein psychisches Wrack.

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Schulmeisterlicher Auftrittseines Anwalts

Allerdings wird dadurch noch nicht die zumindest für das Gericht entscheidende Frage beantwortet: Ob der Angeklagte seine Geliebte absichtlich oder aus Versehen umgebracht hat. Selbst wenn der eifersüchtige Sportler Reeva Steenkamp nach einem Streit erschoss, wie die Anklage unterstellt, kann ihm die Tat später aufrichtig leid getan haben – fast in gleicher Weise, wie ihm seine tödlichen Schüsse im Fall der Verwechslung Reevas mit einem Einbrecher das Herz brechen müssen.

Für die Journalisten hatte die erschütternde Szene auch etwas Aufschlussreiches: Sie sahen Oscar Pistorius erstmals nicht nur als Täter, sondern auch als Opfer.

Das weltberühmte Sportidol von seinem Sockel zu holen, ist in Südafrika längst en vogue geworden. Je mehr Zeugen der Anklage in der vergangenen Woche aussagten, desto größer wurde die über dem Mordverdächtigen hängende Wolke. Daran änderten auch die Rettungsversuche des scharfzüngigen Strafverteidigers Barry Roux nicht viel. Im Gegenteil: Der schulmeisterlich bis arrogant auftretende Anwalt wird zunehmend als Ausgeburt des smarten Rechtsverdrehers wahrgenommen, der für viel Geld Justitia zu manipulieren weiß – die Personifizierung des O.J.-Simpson-Symptoms, wonach sich selbst dem Volksempfinden nach Schuldige mit entsprechenden Mitteln freikaufen können.

Hinzu kommt, dass der gleichfalls brillante Staatsanwalt Gerrie Nel bereits in der ersten Woche auch mit seinen Manövern auf dem Nebenschauplatz begonnen hatte: Pistorius als einen unverantwortlichen, jähzornigen und schießwütigen Rowdy darzustellen. Das gelang Nel bislang besser, als dem Angeklagten vorsätzlichen Mord nachzuweisen: Ehemalige Freundinnen und Freunde zeichneten ein äußerst unsympathisches Bild von Pistorius, dem offenbar der Ruhm zu Kopf gestiegen war. Gestern verdichtete sich die Antipathie noch, als bekannt wurde, dass Pistorius für seine 9-Millimeter-Pistole besonders verheerende Munition verwandte: Sogenannte Ranger-Patronen, die im Körper des Opfers größtmöglichen Schaden anrichten.

Nur seine Familie und ein paar unbeugsame „Pistorianer“ halten ihm, aus welchen Gründen auch immer, die Treue, während mehr und mehr Mitglieder der Frauenliga des regierenden Afrikanischen Nationalkongresses mit Schildern wie „Frauenmörder sollen im Gefängnis verrotten“ vor dem Gerichtsgebäude demonstrieren.

Vom Zeugenstandaus belastet

Wie der „Jahrhundertprozess“ schließlich ausgehen wird, steht auch am siebten von 15 anberaumten Verhandlungstagen noch völlig in den Sternen. Noch immer hat der Staatsanwalt nicht sein dickstes Geschütz aufgefahren: Die Auswertung der Mobiltelefone des Täters und seines Opfers, für die die Ermittler eigens zu Apple nach Kalifornien geflogen waren. Umgekehrt hat Verteidiger Roux noch keinen seiner Entlastungszeugen aufgerufen: Bislang wurde Pistorius vom Zeugenstand aus lediglich belastet.

Doch ganz gleich, ob der Angeklagte schließlich vollends zusammenbricht oder entlastet wird, steht schon heute fest: Seine Reaktion in jener Februarnacht war in jedem Fall vollkommen unangemessen. Offenbar wurde der beinamputierte Hochleistungssportler von einer nicht mehr zu kontrollierenden Angst getrieben: Das scheinbare Idol war schon vor seiner psychotischen Kernschmelze auf Hilfe angewiesen.