New York. . Die Schatten des Vaters Johnny Cash war lang. Doch Rosanne Cash hat sich mit elf Nr.-1-Hits längst ein eigenes Profil geschaffen. Jetzt hat die amerikanische Singer-Songwriterin ein neues Album vorgelegt. Dafür reiste sie zurück zu den Stätten ihrer Kindheit.

Die Weisung der Plattenfirma ist knallhart. Keine Fragen zu Johnny Cash, bitte, ausschließlich Fragen zu Rosanne Cashs neuem Album „The River And The Thread“ (Universal/Blue Note). Kein Problem. Die neue Produktion bietet reichlich Gesprächsstoff. Obendrein ist Johnnys älteste Tochter eine angenehme Gesprächspartnerin mit einer freundlichen Telefon-Stimme – und gutem Humor. Und irgendwann ist es dann doch möglich, eine Johnny-Frage zu stellen.

Wir erreichen die 58-jährige Sängerin aus Memphis, US-Staat Tennessee, mit der hohen, vollen, warmen, weichen Stimme, die perfekt ist für Folk und Country, daheim in New York.

Die amerikanische Presse überschlägt sich vor Begeisterung für das neue Album. Alles nur Süßholz-Raspelei? Eine winzige Pause, und dann lacht Rosanne Cash schallend: „Nein, nein, ich glaube schon, dass sie es wirklich mögen. Ich glaube schon, dass es Eindruck gemacht hat. Nein, nein, die Kritiken sind schon ernst zu nehmen.“

Die großen Themen der USA

Welche Idee steckt hinter dem Album? „Oh“, sagt die Sängerin, die schon unmittelbar nach ihrer Schulzeit mit dem Familienbetrieb Cash tourte, „die Songs huldigen dem Süden, allen Stilrichtungen, die dort zu Hause sind. Wir haben eine Menge Reisen dorthin unternommen, nach Arkansas, Alabama und, ja, auch Mississippi und Virginia, um richtig inspiriert zu werden.“ Sie spricht von Roots, von Wurzeln, vom Ursprünglichen.

Auch interessant

Steht die musikalische Wiege der USA im Süden? „Ja“, erwidert Rosanne Cash, „musikalisch unbedingt. Die Songs kreisen um die großen Themen der Staaten, die Landnahme und die Abschaffung der Sklaverei. Ja, die Musik der Südstaaten ist die Quelle, aus der wir Amerikaner alle schöpfen.“

Als wir wissen wollen, ob sie sich vorstellen könnte, dort wieder zu leben, stutzt die Künstlerin. „Um dort zu leben?“ Aus ihrer Antwort klingt Unverständnis: „Ich bin New Yorkerin seit 22 Jahren. Ja, ich bin in Memphis geboren worden. Mein Leben im Süden ist aber heutzutage kaum mehr als eine Fußnote. Ja, ich bin in den Süden zurückgegangen, um meine Erfahrungen aufzufrischen.“

"Ich habe die Stücke zusammen mit meinem Mann geschrieben"

Zugleich betrachtet die Großstädterin Cash den ländlichen Süden mit Distanz. Was, bitte, lieben Sie so sehr an New York? „Dafür gibt es einen ganz starken Grund“, erwidert Rosanne Cash, „ich habe einen Mann aus New York geheiratet, einen, der aus der Stadt stammt. Aber ich liebe auch diese unglaubliche Energie, die diese Stadt verströmt, und es gibt einfach unglaublich viele, unglaubliche gute Musiker dort. Die Stadt ist wirklich meine Heimat geworden, ich fühle es von ganzem Herzen.“ Wir wenden scherzhaft ein, New York sei die Stadt, die niemals schläft: „Und was ist mit Ihnen?“ Rosanne Cash augenzwinkernd: „Ich kann nachts manchmal auch nicht schlafen.“

Auch interessant

Die Studio-Aufnahmen indes klingen mit satten Gesangssätzen, zeitgemäßen Gitarren-Sounds und kräftigen Beats sehr ausgeschlafen. „Ich habe die Stücke zusammen mit meinem Mann geschrieben“, erzählt sie, um schelmisch nachzuschieben, „und mit meinem Ex-Mann.“

Die Tochter knüpft da an, wo der alte Herr aufgehört hat

Die Lieder der Singer-Songwriterin waren immer ein Weg, um ihre Gefühle auszudrücken. Singt sie, was sie fühlt, und fühlt, was sie singt? Sie denkt nach und bejaht die Frage schließlich mit einem Lachen in der Stimme. Sind Lieder ihr Weg, ihr Leben im Gleichgewicht zu halten? „Manchmal weiß ich gar nicht so, was mit meinen Gedanken und meinen Gefühlen los ist, und dann schreibe ich einfach Songs. Es geht dabei gar nicht in erster Linie um meine Arbeit und auch nicht um meine Kunst. Es geht mir beim Lieder schreiben in erster Linie darum, Klarheit in meine Gedanken zu bringen.“

Rosanne Cash interpretiert aber nicht nur eigene Stücke, gespeist von Country und Blues, Gospel und, ja, auch ein bisschen Jazz. Sie hat sich aber auch immer wieder Klassiker von Kollegen zu eigen gemacht. Vor fünf Jahren, beispielsweise, spielte Rosanne Cash das Album „The List“ ein. Quelle war die legendäre Liste ihres Vaters mit seinen 100 persönlichen Country-Favoriten. Rosanne pickte sich zwölf Stücke daraus. Der „Man in black“ war so bescheiden, keine eigenen Kompositionen auf die ewige Bestenliste zu setzen. Dabei sind es etliche Stücke wert. Nur welche? Rosanne Cashs Stimme verliert etwas Druck, klingt plötzlich wehmütig. „Ich denke, ,Get Rhythm’ gehört dazu“, sagt sie. Pause. Dann fügt sie hinzu: „,Hey Porter’ und ,Tennessee Flat Top Box’. Es gehören eine Menge seiner Songs dazu, er hat ein so großes Lebenswerk hinterlassen.“ Die Tochter verwaltet Vaters Erbe. Sie knüpft da an, wo ihr alter Herr aufgehört hat.