Salcedo. . Der Taifun „Haiyan“ hat ihre Schule zertrümmert. Auf den Philippinen fehlt es an allem, an Stiften, an Papier, an Büchern. Der Unterricht muss vorerst improvisiert werden. Doch viel schlimmer ist die Angst der Kinder der philippischen Stadt Salcedo vor einem neuen Sturm.
Hallo Ian, wie geht es dir? „Ich habe Angst“, sagt der Achtjährige völlig unvermittelt zu dieser fremden Frau, die er überhaupt nicht kennt, zu Angelika Böhling von der Kindernothilfe. Was ist denn? „Weil der Sturm so kräftig war.“ Der kleine Junge sitzt auf seiner Schulbank, wie sechs andere an diesem Nachmittag, und die Lehrerin hat sie aufgefordert, zu malen, was ihnen durch den Kopf geht. Sie malen zerstörte Häuser.
Einen Hubschrauber malen sie, eine Maschinenpistole, Bäume, die liegen, Regenwolken, nochmals zerstörte Häuser. Willkommen auf der Insel Samar! Die Kinder malen, was sie draußen sehen und was sie im Innern beschäftigt, und wenn der Wind wieder rauscht, dann fragen sie: „Kommt jetzt der Taifun zurück?“
Ein Schulgebäude ist komplett verschwunden
Man muss sich die Grundschule „Salcedo Central Elem. School“ so vorstellen, als sie noch stand: als eine Gruppe einstöckiger, ordentlich um einen Rasenplatz platzierter Gebäude. Heute steht zwar noch das große Schild „Welcome! Chield friendly School“; aber dahinter ist sie zerschlagen wie ein Puppenhaus, das einem zornigen Kind in die Hände fiel, einem sehr zornigen Kind. Der Taifun „Haiyan“ kam nachts, insofern starb hier niemand; freilich überlebte die Lehrerin Maria Teresa Ducha mit drei Kindern nur auf der Toilette: Sie war in die Schule geflohen, als ihr Haus wegzufliegen drohte, und dort dann weiter in die Toilettenräume, als auch das Schuldach herunter kam.
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Da war ihr eigenes Haus schon längst weg.
Nun sind auch mehrere der Schulgebäude in sich zusammengesackt, anderen fehlen die Dächer, eines ist komplett verschwunden bis auf die Grundmauern. In den Pfützen auf dem Boden des früheren Klassenraumes liegen noch eine rosa Trinktasse, ein grünes Spielzeugauto und Teile eines einfachen Puzzles, irgendwas mit Sternen; und unter einem Balken klemmt ein durchweichtes Kalenderblatt, wie gewollt, mit der „7“.
Kein Examen, kein Weiterkommen
Am 8. kam dann der Sturm und, weit schlimmer, die Sturmflut. Sie töteten und zerstörten, auch Hunderte Schulen und Kitas im Unglücksgebiet – und wo das Dach noch hält, dort regnet es mindestens hinein. „Keine Bücher, keine Stifte, kein Papier“, so beschreibt eine Lehrerin die desaströse Lage.
Als die Grundschule dieser Tage wieder aufmacht in den verbliebenen undichten Räumen, da kommen von 800 Kindern keine 200. „Manche Familien sind weggegangen, bei anderen müssen die Kinder helfen, das Haus wieder aufzubauen“, sagt der Lehrer Jolando Garcia. Mit jedem Tag ohne Unterricht „verlieren die Kinder Zeit, schlimmstenfalls ein ganzes Jahr“ – denn am Ende eines Schuljahres steht ein Examen.
„Viele Kinder haben Ängste und Alpträume"
Kein Examen, kein Weiterkommen. Die Zeit läuft. „Wir müssen unterrichten für die, die da sind“, sagt Ferdinand Calvo, Rektor dieser Ruine: Es sei nicht gut, wenn die Kinder zu Hause blieben „allein mit ihren Erinnerungen“. Die Kindernothilfe wird einspringen, wird Geld geben, damit Schulen und Kitas wieder aufgebaut werden, auch diese. Kinderzonen richtet sie ein in Notunterkünften, geschützte Räume zum Spielen, Reden und Beisammensein. Und damit ist es nicht getan, denn „viele Kinder haben Ängste und Alpträume. Das tragen sie ein Leben lang mit sich herum, wenn wir das jetzt nicht behandeln,“ sagt Angelika Böhling.
Manche sind verstört, unruhig, sie blicken ins Leere oder lachen laut – ohne Grund. „Wir sind Taifun erfahren, aber diese Stärke hat niemand erwartet“, sagt die Expertin Rhoda de los Santos (20): Für die Kleinen sei sehr wichtig, dass sie „ihre dramatischen Erfahrungen rauslassen. Wir erreichen das, wenn wir mit ihnen reden oder malen oder ein Stück aufführen.“ Auch müsse man nun Lehrer schulen, damit sie den Schülern helfen, den Schrecken aufzuarbeiten.
Glücklich bei der Tante
„Ich bin glücklich, dass der Sturm vorbei ist,“ sagt Maria in der Grundschule. Das Haus ist kaputt, das Dach steht noch, da schlafen sie jetzt. Ein anderes Mädchen ist glücklich bei der Tante untergekommen, nachdem der Fluss aus seinem Bett gekommen war und sich das Elternhaus holte. Etwa 16 Uhr ist es gerade, Zeit für die Kinder, zurück zu den Eltern zu gehen. Gleich wird es dunkel, Strom gibt es nicht, und jetzt setzt auch noch dieser überfallartige Philippinenregen ein. „Kommt der Sturm zurück?“, fragt der Junge.