Kiew. Witali Klitschko hat nach seiner Sportkarriere eine neue Mission gefunden. Der ehemalige Box-Weltmeister kämpft in der Ukraine für Europa – und für Rechtsstaatlichkeit. Mit Erfolg: „Doktor Eisenfaust“ (Kampfname) geriet unversehens zum Star der Protestbewegung. Doch hat er das Zeug, mehr als nur ein ukrainischer Schwarzenegger zu werden?
Kiewer Freunden erzählt Klitschko gern von der Polizistin in Hamburg, die ihn einmal anhielt und mit Komplimenten überschüttete, völlig begeistert, den echten Witali Klitschko vor sich zu haben. Aber dann wurde ihre Miene ernst. „Herr Klitschko, ich muss Ihnen leider ein Strafmandat geben, 300 Euro. Sie sind nicht angeschnallt.“
Eine Geschichte, die alle in Kiew amüsiert. Weil sie nett illustriert, wie das Europa funktioniert, von dem so viele Ukrainer träumen: Gleiche Regeln für alle. „Bei uns gibt es nur die Regel, dass keine Regel gilt“, erklärt Klitschko gerade wieder im Gewerkschaftshaus am Kiewer Maidan vor Journalisten. „Dort zählen Gesetze, bei uns nur Geld.“
„Klitschko ist plus-minus ehrlich“
Witali Klitschko (42) viersprachiger Doktor der Sportwissenschaften, mehrfacher Schwergewichtsboxweltmeister, ein Faustkämpfer, der in seiner Profikarriere nie zu Boden ging, versucht sich in einer neuen Kampfsportart. Er ist jetzt Führer der Kiewer Dauerproteste gegen Staatschef Viktor Janukowitsch, dessen Regierung und ihren plötzlichen Entschluss, wenige Tage vor der geplanten Unterzeichnung des Assoziierungsabkommen mit der EU die europäische Integration abzublasen. Und Klitschko, der seinen Lebensschwerpunkt Mitte der 90er-Jahre nach Hamburg verlagerte, gilt als der vielleicht einzige Politiker in der Ukraine, der die Spielregeln Europas verinnerlicht hat.
„Am ehesten würde ich noch Klitschko wählen“, erklärt der zu den Massendemonstrationen in Kiew eigens aus der Krim angereiste Jurastudent Andrei. „Klitschko ist plus-minus ehrlich.“ „Doktor Eisenfaust“ (Kampfname) ist jetzt Chef der ihm auf den Leib geschneiderten „Ukrainischen Demokratischen Allianz für Reformen“, kurz „UDAR“ (Hieb).
Aber auch ihm bringen die Revoutionäre nur verhalten Wohlwollen entgegen. „Klitschko ist der ukrainische Schwarzenegger“, schimpft der Geschäftsmann Alexander Taratschuk, Aktivist der prowestlichen Bürgerbewegung „Allgemeines Anliegen“, die die Oppositionsparteien äußerst skeptisch betrachtet. „Zum Fäusteschwingen ist er zu alt.“ Bei den Protesten habe er bisher null Resultat geliefert. „Wie Jazenuk oder Tjagnibok fehlen auch Klitschko die Kämpferqualitäten und das Charisma der inhaftierten Julia Timoschenko“, bestätigt der Politologe Viktor Samjatin.
Geschätztes Privatvermögen von 30 Millionen Euro
Das Janukowitsch-Lager aber wirft Klitschko vor, sich genauso wie einst Timoschenko von Wirtschaftsoligarchen finanzieren zu lassen, oder, noch schlimmer, von der deutschen CDU und den politischen Stiftungen der großen US-Parteien. Allerdings ist der Exboxer mit einem geschätzten Privatvermögen von 30 Millionen Euro der finanziell wohl unabhängigste Politiker der Ukraine.
Für die Westmedien aber ist er eindeutig der Revolutionsstar. Ob er mit dem deutschen Außenminister Guido Westerwelle über den Maidan spaziert oder gemeinsam mit Jazenuk und Tjagnibok Erklärungen abgibt, die Reporter stürzen sich auf Klitschko. Sein Deutsch ist etwas schlechter geworden, sein Blick aber warm und offen. „Politik ist in der Ukraine zum Schimpfwort geworden“, sagt er. Die ukrainische Politik brauche einen kompletten Neustart.
Ex-Boxer warf sich mit Megafon ins Gewühl
Klitschko hat nach Umfragen die besten Chancen aller Oppositionsführer, Janukowitsch 2015 bei den Präsidentschaftswahlen zu schlagen. Viele aber befürchten, er sei zu kompromissbereit, zu weich. „Unsinn, er ist doch Boxer“, versichert Sergei Kaplin, Klitschkos Fraktionskollege im Parlament.
Als am 1. Advent in Kiew Hunderttausende auf die Straße gingen und Radikale begannen, die Präsidialverwaltung zu stürmen, eilte Klitschko herbei. Er warf sich mit einem Megafon ins Gewühl und rief alle auf, zur friedlichen Hauptdemonstration auf dem Maidan zurückzukehren. „Wir wollen kein Blutvergießen!“ Die Menge buhte. Da packte Klitschko einen der Randalierer und schrie: „Du Hund, bist wohl besoffen? Marsch, du Arschloch, zum Maidan!“ Ringsherum wurde es still. Vielleicht hat Witali Klitschko doch das Zeug, mehr als nur ein ukrainischer Schwarzenegger zu werden.