Istanbul. Die türkische Regierung treibt den Islamisierungs-Kurs weiter voran: Nun soll die Hagia Sophia in eine Moschee umgewandelt werden. Bislang war die einst größte Kirche der Christenheit in Istanbul ein Museum. Die islamisch-konservative Regierung dreht mit den Moschee-Plänen das Rad der Zeit zurück.
Sie war einst die größte Kirche der Christenheit: die Hagia Sophia, Krönungskirche der Kaiser von Byzanz und Kathedrale des Patriarchen von Konstantinopel. Seit 1935 ist dieses letzte große Bauwerk der Spätantike, eines der Wahrzeichen Istanbuls, ein Museum. Jetzt soll es in eine Moschee umgewandelt werden. Nach den Alkohol-Beschränkungen, der Einführung des islamischen Kopftuchs im Parlament und der Kampagne für die Geschlechtertrennung unter Studenten erweitert die türkische Regierung damit ihre islamische Agenda.
Auf dem Camlica-Hügel am asiatischen Ufer des Bosporus, wo bisher Dutzende Antennenmasten in den Himmel ragten, begannen im August die Bauarbeiten für ein Lieblingsprojekt des islamisch-konservativen Ministerpräsidenten Tayyip Erdogan. Dort entsteht auf über 57.000 Quadratmetern Fläche eine Mega-Moschee für 30.000 Gläubige. Sechs Minarette soll das Gotteshaus haben, „die höchsten der Welt“, wie Erdogan verspricht. Für den frommen Premier ist die Camlica-Moschee von allen Großprojekten, mit denen er sich verewigen möchte, wohl jenes, das ihm am meisten am Herzen liegt.
Hagia Sophia war bedeutendstes Heiligtum der orthodoxen Christen
Derweil verfolgt Erdogans Stellvertreter Bülent Arinc sein eigenes Lieblingsvorhaben: Er will die Hagia Sophia in eine Moschee umwidmen. „Wir betrachten eine traurige Hagia Sophia“, klagte Arinc am vergangenen Freitag, „aber hoffentlich wird sie bald wieder lächeln“. Der Vizepremier nahm an der Eröffnung eines Teppichmuseums teil, das sich gleich neben der Kirche befindet.
„Die Hagia Sophia will uns etwas sagen“, orakelte der fromme Arinc. „Lasst uns hören, was sie sagt!“ In seinem Leben habe er, Allah sei Dank, schon zwei schöne Dinge erlebt: Zwei ehemalige Kirchen, die ebenfalls den Namen Agia Sophia trugen, seien bereits in Moscheen umgewandelt worden, eine in Trabzon an der Schwarzmeerküste, eine im nordwesttürkischen Iznik. Er wünsche sich, dass auch für die „Hagia Sophia Moschee“ in Istanbul, wie er das Gebäude bereits nannte, „bald glücklichere Tage“ anbrechen.
Die „Kirche der heiligen Weisheit“, so die Bedeutung des griechischen Namens Hagia Sophia, wurde nach mehr als 200-jähriger Bauzeit im Jahr 537 unter Kaiser Justinian fertiggestellt. Mehr als 900 Jahre lang war die Basilika mit ihrer gewaltigen Kuppel nicht nur ein architektonisches Wunderwerk sondern auch das bedeutendste Heiligtum der orthodoxen Christenheit – bis am 27. Mai 1453 die Osmanen Konstantinopel eroberten. Sie plünderten drei Tage lang die Stadt, auch die Hagia Sophia blieb nicht verschont. Altar, Glocken, Ikonen und die liturgischen Gegenstände wurden zerstört oder gestohlen.
Dauerkonflikt mit der christlichen Minderheit wird verschärft
Sultan Mehmet II., der Eroberer, ließ die Kirche in eine Moschee umwandeln. Die christlichen Motive der Mosaiken und Wandgemälde wurden zerstört oder übermalt. Nach der Gründung der Republik beschloss die Regierung 1934 auf Anregung des weltlich gesinnten Staatsgründers Atatürk, die Hagia Sophia in ein Museum umzuwandeln.
Jetzt will die islamisch-konservative Regierung das Rad der Zeit zurückdrehen. Schon in den vergangenen Jahren forderten ultra-nationalistische Splitterparteien mehrfach, die Hagia Sophia wieder als Moschee zu nutzen. Vergangenen Monat verlangte auch der Imam der benachbarten Blauen Moschee, die Hagia Sophia als Gebetsstätte zu öffnen, weil sein eigenes Gebäude den Andrang der Gläubigen nicht bewältigen könne.
Mit den Plänen zur Umwidmung des Museums in eine Moschee eröffnet die Regierung Erdogan jetzt eine neue Front im Dauerkonflikt mit den christlichen Minderheiten. Während das griechisch-orthodoxe Patriarchat in Istanbul sich seit immer noch vergeblich um die Öffnung der 1971 vom türkischen Staat geschlossenen Theologischen Hochschule von Chalki bemüht, kommt die Ankündigung der Umwidmung der Hagia Sophia wie ein Schock. Auch die griechische Regierung ist alarmiert: Die Pläne seien „eine Provokation der religiösen Gefühle von Millionen Christen“ und nicht vereinbar mit dem Grundrecht der Religionsfreiheit, heißt es in einer Erklärung des Außenministeriums in Athen.