Essen. Die Grippe ist die wohl am meisten unterschätzte Infektionskrankheit der Welt. Die Viren sind echte Verwandlungskünstler und warten fast in jeder Saison mit einem neuen Erscheinungsbild auf. Und dennoch lässt sich nur etwa die Hälfte der Deutschen impfen.

Spitzbergen am 24. September 1918: Im Eisfjord geht das Versorgungsschiff „Forsete“ vor Anker. An Bord junge Männer, die über die Wintermonate in den Bergwerken der Insel arbeiten wollen. Wenige Tage später sind sieben von ihnen tot, der älteste kaum 28 Jahre alt. Ihr Mörder ist ein Virus, das zu diesem Zeitpunkt bereits traurige Geschichte geschrieben hat: Influenza, der Erreger der „Spanischen Grippe“. In kaum neun Monaten waren ihm mehr Menschen zum Opfer gefallen, als dem gerade beendeten Ersten Weltkrieg – „nach Schätzungen weltweit 40 Millionen Menschen“, sagt Brunhilde Schweiger vom Nationalen Grippe Referenzzentrum am Robert-Koch-Institut, Berlin. Nie zuvor war die Menschheit von einem derart aggressiven, leicht übertragbaren Erreger heimgesucht worden.

Jährlich sterben allein in Deutschland bis zu 8000 Menschen

Die Influenza ist die wohl am meisten unterschätzte Infektionskrankheit der Erde: Eine schwere Infektion der Atemwege, die mit den so genannten „grippalen Infekten“ nichts zu tun hat. Erkältungskrankheiten werden durch eine Vielzahl von Bakterien und Viren hervorgerufen. Die meisten dieser Erreger sind für Personen mit einem intakten Immunsystem harmlos.

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Das Influenzavirus hingegen sorgt immer wieder für Lebensgefahr. Jedes Jahr sterben allein in Deutschland 5000 bis 8000 Menschen an der Virusinfektion. In schweren Grippejahren sind drei- bis viermal so viele Opfer zu beklagen (1995/1996: 35 000; 2002/2003: 16 000 Tote in Deutschland).

Experten raten dringend zur Vorbeugung. „Der beste Schutz vor einer Virusgrippe besteht in der rechtzeitig durchgeführten Schutzimpfung“, betont Reinhard Kurth, ehemaliger Präsident des Robert-Koch-Instituts. Impfstoffe verteilen gewissermaßen Steckbriefe eines Erregers im Körper und simulieren eine Invasion des Keims. Derart alarmiert, bildet das Immunsystem Spezialeinheiten, die sich auf die Bekämpfung des Eindringlings verstehen. Der Organismus wird gegen diesen Erreger immun wie nach einer wirklichen Erkrankung. Eine erneute Infektion mit dem gleichen Virus ist praktisch ausgeschlossen.

Nur sind Grippeviren echte Verwandlungskünstler. Ständig verändern sie ihr Aussehen. Ausschlaggebend für diesen molekularen Kostümwechsel sind Mutationen: mehr oder weniger große Veränderungen im Viren-Erbgut. Sie beseitigen die bekannten Erkennungsmerkmale (zwei Proteine) der Virushülle, indem sie einzelne Bausteine der Virenproteine austauschen. Für die körpereigenen Abwehrzellen ist es so, als hätte sich der Erreger ein Tarnkleid übergestülpt. Grippeviren beherrschen diesen Kleiderwechsel auf solch perfekte Weise, dass sie fast in jeder Saison mit einem neuen Erscheinungsbild aufwarten.

Seit 1999 neue Klasse von Medikamenten

Eine Grippe-Schutzimpfung muss deshalb jährlich wiederholt werden und neuartige Virusstämme berücksichtigen. Denn: Wie gut der Impfstoff schützt, hängt vor allem von seiner Zusammensetzung ab. Um den bestmöglichen Impfcocktail zu mixen, beobachten nationale Zentren in 110 Ländern der Erde die zirkulierenden Grippeviren und melden sie der Weltgesundheitsorganisation in London.

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Dort entscheiden Experten jedes Jahr im Februar, welche Virusstämme der Grippeimpfstoff der kommenden Saison enthalten soll. Sorgen Gen-shifts nicht für böse Überraschungen, bietet die Impfung einen etwa 70- bis 90-prozentigen Schutz. Kommt die Grippe dennoch zum Ausbruch, verläuft sie bei geimpften Personen in der Regel deutlich milder und mit weniger schwerwiegenden Folgeerkrankungen wie Lungen- und Herzmuskelentzündung.

Seit 1999 ist zudem eine neue Klasse von Medikamenten erhältlich, mit der sich die Grippe selbst behandeln lässt. Diese Neuraminidase-Hemmer blockieren ein Enzym auf der Oberfläche der Viren. Als Folge können neu gebildete Viren die infizierte Zelle nicht mehr verlassen. Ihre weitere Ausbreitung im Körper wird gestoppt. Allerdings müssen diese Medikamente spätestens 48 Stunden nach Ausbruch der Krankheit angewandt werden, um ihre Wirkung entfalten zu können. Schon deshalb gilt beim kleinsten Verdacht auf Grippe: So schnell wie möglich zum Arzt!

So erkennen Sie eine Grippe

  • Grippe allein über die äußeren Symptome zu diagnostizieren, ist selbst für gute Ärzte schwierig. Je nach Verlauf treten Symptome in unterschiedlicher Stärke, Kombination oder überhaupt nicht auf.
  • „Hauptmerkmale der Grippe sind abruptes hohes Fieber, ab 38,5 °C, und Abgeschlagenheit“, sagt Susanne Glasmacher vom Robert-Koch-Institut.
  • Weitere Anzeichen: starker Reizhusten, schwere Kopf-, Hals- und/oder Muskelschmerzen, Schüttelfrost sowie Übelkeit. Nur selten läuft bei einer Grippe die Nase und wenn, bleibt es bei einem schwachen Schnupfen.
  • Eine Erkältung – oft missverständlich als grippaler Infekt bezeichnet – beginnt dagegen in der Regel mit starkem Schnupfen.