New York. . Er ist der wohl politischste Regisseur in Hollywood. Oliver Stone hat mit Spielfilmen wie „JFK“ Geschichte geschrieben. Jetzt ist er bei n-tv mit einer Doku über die US-Geschichte zu sehen. Im Interview erzählt Stone, wie er wurde, was er ist – und warum er enttäuscht von Präsident Obama ist.

„Oliver Stone: Die Geschichte Amerikas“ – die Doku ist für den dreifachen Oscar-Preisträger eine Herzensangelegenheit. Er will provozieren, denn es geht ihm um eine öffentliche Debatte um nichts weniger als den Großmacht-Anspruch der USA.

Welche Punkte sind Ihnen wichtig bei der „Unerzählten Geschichte der USA“?

Oliver Stone: 2008 waren (der Washingtoner Geschichtsprofessor; d. Red.) Peter (Kuznick; d. Red.) und ich sehr besorgt nach George Bushs achtjähriger Amtszeit und sehr besorgt über das, was er mit den Vereinigten Staaten angestellt hatte. Wir wollten herausfinden, wie es dazu kam, dass die USA seit dem Zweiten Weltkrieg zu einer derart monströsen Größe wurden, dass sie andere Staaten weltweit in den Würgegriff nehmen konnten. Wir waren 1945 die bei weitem reichste Siegermacht. Wir fanden heraus, dass wir zur Sowjetunion damals bei weitem großzügiger hätten sein können, als wir es tatsächlich waren. Das war eines der Ereignisse, dass wir in den Blick genommen haben, um zu erkennen, wie der Kalte Krieg entstand.

Arroganz der Macht

Peter hat sich als Student wie als Dozent an der Amerikanischen Universität mit atomarer Rüstung auseinandergesetzt – und zwar seit 22 Jahren. Er überzeugte mich durch akribische Forschung davon, dass es ein Fehler der USA war, die beiden Atombomben auf Japan abzuwerfen. Von da an hatte die Geschichte einen tragischen Dreh, Arroganz der Macht, gepaart mit Angst vor einem scheinbar übermächtigen Feind, etwas das an Paranoia grenzt.

Was bezwecken Sie mit Ihrer Version der US-Geschichte?

Oliver Stone: Unser Ziel ist, herauszufinden, wo wir stehen und wie wir dieses Land haben wollen. Wir kamen zu dem Ergebnis, dass George Bush eben nicht eine Abweichung vom früheren Muster war, sondern er stand lediglich eine besonders starke Ausprägung einer aggressiven weltweiten Außenpolitik. Zu meiner eigenen Überraschung entdeckte ich, dass die Übergriffe von Präsident Eisenhower in den 50ern auf Staaten der Dritten Welt viel stärker waren, als ich vermutet hatte. Wir fangen in der Serie im Jahr 1900 an mit der Wahl von William McKinley; er war der erste imperialistische US-Präsident. Er besetzte die Philippinen und letztlich auch Kuba nach dessen Aufstand gegen Spanien. Unterm Strich kommt unsere Serie, die 113 Jahre umspannt, zu dem Ergebnis, dass die USA im Wesentlichen dem Kurs des britischen Empires folgten, um die Dritte Welt daran zu hindern, unabhängig zu werden. Im Gegenteil: Die USA verfolgten einen eigenen imperialistischen Plan, wirtschaftlich, militärisch und sozial.

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„Wir haben Fakten und Darstellung intensiv prüfen lassen“

War es schwer, einen Sender zu finden, die die Doku zeigen wollte?

Oliver Stone: Es ist ein Wunder, dass diese Serie im amerikanischen Fernsehen lief. Sie wurde ausgestrahlt von dem ausgezeichneten Kabel-Kanal Showtime. Diese Serie wäre niemals im öffentlich-rechtlichen amerikanischen Fernsehen gezeigt worden. Dafür verbreitet sie viel zu provokante Thesen, und kommerzielle Sponsoren sind nicht daran interessiert. Sie scheuen dieses Material. Wir haben also für diejenigen Menschen produziert, die ein echtes Interesse an Erkenntnis haben, und diese Leute sind oft Abonnenten des Kabelfernsehens. Während andere Kanäle abwinkten, setzte Showtime Vertrauen in mich und meinen Ruf. Unglücklicherweise brauchen wir zwei Jahre länger als vereinbart. Dennoch blieb Showtime bei der Stange, obwohl etliche ausländische Interessenten absprangen. Dennoch brauchten wir diese Zeit, um die angestrebte Qualität zu erreichen. Das war komplizierter, als wir erwartet hatten. Wir haben Fakten und Darstellung intensiv überprüfen lassen, von drei unterschiedlichen Organisationen. Die Showtime-Serie war erstaunlich erfolgreich für eine Doku, wir hatten im Schnitt 1,1 Millionen Zuschauer. Wir haben gerade die Serie als DVD-Box veröffentlicht, zwei bisher nicht ausgestrahlte Folgen inklusive. Ich bin sehr stolz darauf, und ich habe das Gefühl, dass diese Doku viele Gemüter bewegt. Mein Vorbild war immer die BBC-Serie „The World at War“ (deutsch: „Die Welt im Krieg“) aus den 70ern, eine klassisch-britische Sicht auf den Zweiten Weltkrieg, ein Programm, das sich immer noch verkauft.

„Unglaublich gute Musik von Craig Armstrong und Adam Peters“

Wie muss Geschichte erzählt werden, um ein großes Publikum zu erreichen?

Oliver Stone: Ich glaube, für diese Art von Geschichtsschreibung sind alle Filmtechniken nötig, die ich kenne. Ich habe versucht, den Text ebenso präzise wie kräftig zu gestalten. Um gelegentliche Monotonie zu vermeiden, waren Bild-Blöcke genauso wichtig wie die unglaublich gute Musik von Craig Armstrong und Adam Peters. Die Herstellung des Films hat solange gedauert, dass der erste Komponist schon ganz erschöpft war. Und deshalb haben wir für die zweite Hälfte des Films einen zweiten Komponisten angeheuert. Aber das war auch sinnvoll, weil sich der Charakter der Musik ändert, wenn die jüngere Vergangenheit erreichen. Wir haben auch kurze Film-Clips eingesetzt, die aus ihrer Natur heraus umstritten sind, aber sie wirken dynamisch und stellen manche Dinge sehr deutlich heraus; sie beziehen sich auf Filme aus der Zeit, über die wir jeweils reden. Sie spiegeln in der Tradition der Pop-Kultur wahrhaftige Gefühle der jeweiligen Ära. Spielfilme sind ein großartiger Wegweise für derartige Dinge.

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„Wir kennen unsere Grenzen“

Ich bin mir im Klaren darüber, dass die Serie nicht das ganz große Publikum erreicht. Es ist etwas anderes als bei Michael Moores „9/11“ oder Al Gores „An Inconvenient Truth“ (deutsch: „Eine unbequeme Wahrheit“). Wir sprechen hier nicht über ein einziges Thema, wir sprechen über 113 Jahre Geschichte, und ich habe keine Idee, wie man so etwas eindampfen kann auf eine Zwei-Stunden-Doku. Also, wir kennen unsere Grenzen, und wir sind glücklich, wenn wir ein paar Leute zum Umdenken bewegen können.

Sind Sie zufrieden mit den Ergebnissen der öffentlichen Debatte über Buch und Doku?

Oliver Stone: Es gab eine öffentliche Debatte hier bei uns. Aber die bürgerliche Presse hat uns weitgehend ignoriert, ich kann sogar verstehen, warum. Aufgeschlossene Blätter in unserem Land haben sich sehr lobend geäußert. Andererseits haben wir uns konservative Kommentatoren vorgeworfen, wir seien Sowjet-Propagandisten. Das ist natürlich lächerlich, wenn man die Bilder der Serie gesehen hat.

„Es fehlten definitiv wichtige Elemente“

Welche Version der amerikanischen Geschichte haben Sie in der Schule gelernt?

Oliver Stone: Die Version, die mir nahe gebracht wurde, stimmt in Teilen. Aber es fehlten definitiv wichtige Elemente. Ein Beispiel: Mir wurde beigebracht, dass der Abwurf der Atombombe auf Japan nötig war, weil das Land nicht aufgeben wollte, was wiederum Hunderttausende von Amerikanern das Leben gekostet hätte. Das ist nicht wahr, weil es nur eine Annahme ist. Man hat uns nie davon erzählt, wie stark der Einmarsch der Sowjets in der (chinesischen) Mandschurei war zu dem Zeitpunkt, als die Bombe fiel, und man hat uns nie davon erzählt, wie erschöpft die japanische Wirtschaft damals war, so dass Japan dabei war, Friedenssignale auszusenden. (Präsident) Truman und sein Führungszirkel wussten davon. Das hat sie allerdings nicht vom Bomben-Abwurf abgehalten.

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„Ich bin nach Vietnam gegangen als Kämpfer gegen den Kommunismus“

Die Geschichtsschreibung in den USA ist, wie in vielen anderen Ländern auch, von Selbstverliebtheit geprägt und daher längst nicht so selbstkritisch, wie sie sein sollte. Ich bin aufgewachsen als konservativer Republikaner. Mein Vater war ein Anhänger von Eisenhower, und ich bin nach Vietnam gegangen als Kämpfer gegen den Kommunismus. Das zeigt, wie wirkungsvoll die Gehirnwäsche in meinem Land funktionierte. In den 70ern kam ich ins Grübeln, und erst Mitte der 80er (ich habe lange Zeit gebraucht) habe ich die Sinnlosigkeit von Ronald Reagans Machtanspruch an die Dritte Welt, aber auch an sein eigenes Land erkannt.

Welche Rolle spielte der Vietnam-Krieg für Ihr politisches Bewusstsein?

Oliver Stone: Der Vietnam-Krieg war eine wichtige Erfahrung; er war ein traumatisches Erlebnis. Ich kann nicht sagen, dass es mich radikal verändert hat. Ich kam aus dem Krieg zurück, aber ich habe nicht dagegen protestiert. Ich wusste allerdings, dass es ein kranker Krieg war. Ich habe genug gesehen. Es dauerte ein paar Jahre, bis in den 70ern ein höheres politisches Bewusstsein erlangt hatte. Aber erst in den 80ern habe ich mich zu fortschrittlichen Positionen durchgerungen, und zu fortschrittlichen Filmen.

„Hitler musste gestoppt werden“

Gibt es überhaupt einen guten Krieg? Wenn ja, war der Zweite Weltkrieg einer?

Oliver Stone: Ja, der Zweite Weltkrieg war nötig. Hitler musste gestoppt werden. Aber die USA dürfen nichts vom „guten Krieg“ und nichts von der „großartigsten Generation“ grölen. Die Rolle der Sowjetunion am Sturz Hitlers wird in den USA kaum gewürdigt, und auch nicht ihr Beitrag zur Kapitulation Japans. Unglücklicherweise wurde die Sowjetunion nach dem Krieg als neuer Gegner ausgemacht, und deshalb war es für amerikanische Bürger fast unmöglich, Fakten von Propaganda zu unterscheiden.

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Gibt es Helden in der Geschichte?

Oliver Stone: Ja, es gibt eine ganze Menge davon, viele von ihnen sind unbekannt. Wir erinnern nicht nur an allseits bekannte Helden wie Franklin Roosevelt, wir zeigen auch die enormen Anstrengungen von John Kennedy, die vielen unbekannt sind, genauso wie von Henry Wallace (US-Vizepräsident von 1941 bis 1945), Nikita Chruschtschow, Michail Grobatschow und dem fast unbekannten sowjetischen U-Boot-Offizier Wassili Archipow (er verweigerte in der Kuba-Krise den Abschuss von Atom-Sprengköpfen auf die USA; d. Red.).

„Obama hat seine Chance nicht genutzt“

Obama wurde mit dem Slogan „Yes, we can“ erster schwarzer US-Präsident. Jetzt klingt sein Slogan eher wie „No, we can’t“. Was sagen Sie dazu?

Oliver Stone: Ich bin, wie so viele, enttäuscht davon, dass ihm das Rückgrat fehlt. Er versprach Reform, jedenfalls glaubten wir das. Am Ende des Tages hat Obama sogar mehr Truppen nach Afghanistan geschickt und hat eine Reihe von Fehlentscheidungen getroffen. Er hat auch ein paar gute Dinge getan, aber er hat nicht das Vertrauen des Landes gewonnen. Er hatte die Unterstützung für radikale Veränderungen, ähnlich wie seinerseits Franklin Roosevelt, aber Obama hat seine Chance nicht genutzt. Er hat sie vermasselt. Er wird am Ende der Manager eines Imperiums sein, der dasteht als Anhänger von Bushs absurdem „Alice im Wunderland“-Krieg gegen den Terror, der sich über den ganzen Globus zieht.

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