Prag. . Macht und Geld, Sex und Gewalt: Die ZDF-Serie inszeniert Papst Alexander VI. als den ersten Paten. Die europäische Koproduktion hat einen beispiellosen Aufwand getrieben. Dennoch überzeugt das Ergebnis längst nicht immer.
Papst Alexander VI. trägt nach Dienstschluss Karohemd und Cord-Sakko. Auch wenn er im Prager Edel-Schuppen Villa Richter immer wieder am Rotwein nippt, bleibt US-Schauspieler John Doman (68), mit wachem, leicht verkniffenem Blick, ein nüchterner Beobachter. Als junger Mann musste er nach Vietnam, er gibt sich illusionslos. Kein Wunder, dass der Absolvent einer katholischen Schule über die Kirche nicht nur nüchtern, sondern eher ernüchtert urteilt: „Seien wir ehrlich, es geht doch nur ums Geld.“
Im Fall Alexander VI. ist das nur die halbe Wahrheit, wenn nicht weniger. Dem Renaissance-Papst ging es neben Geld auch um Macht und Sex. Es war der schrille Dreiklang seiner ganzen Familie „Borgia“ (ZDF, Montag, 20.15 Uhr). In der ersten zwölfteiligen Staffel von Serien-Erfinder Tom Fontana steigt der spanische Adlige Rodrigo Borgia durch beispiellose Intrigen zum Papst auf. Nebenher zeugt er Kinder, darunter Lucrezia (Isolda Dychauk) und Cesare (Mark Ryder). Während der Vater, historisch verbürgt, seine Tochter als heiratspolitische Schachfigur benutzt, wird der ebenso hochmütige wie abgründige Cesare in eine Kirchen-Karriere gedrängt. Gottesmänner in der Hölle des Lasters. Dieser Stoff, vom Historiker Volker Reinhardt in seinem Abriss „Die Borgia“ (C. H. Beck, 128 S.) skizziert, rief nicht nach Verfilmung; er schrie danach.
Der Unheilige Vater sucht Erlösung durch Drogen
Natürlich setzte Serien-Erfinder Fontana die Familien-Chronik nicht im Stil Knoppscher Historien-Epen in Szene, sondern verkauft Rodrigo Borgia eher als den ersten Mafioso. Der Papst als Pate.
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Das Publikum fand Gefallen daran. Im Schnitt sahen 4,7 Millionen Zuschauer hin, wenn die Papst-Sippe hurte und hasste, meuchelte und, ja, gelegentlich auch meditierte. Der Marktanteil von rund 15 Prozent lag deutlich überm Sender-Schnitt, war aber zugleich auch eingepreist für die bisher 55 Millionen teure europäische Produktion.
Jetzt setzt das ZDF das Historien-Epos zwischen Kreuz und Schwert, Thron und Bett mit sechs je 100-minütigen Doppelfolgen fort. Den Unheiligen Vater drücken ob seiner Sünden Schuldgefühle. Er sucht Erlösung ausgerechnet durch Drogen. Lucrezia versucht eine außereheliche Schwangerhaft zu verbergen, und Kardinal Cesare bricht den Widerstand des florentinischen Bußpredigers Savanorola (stark: Iain Glen) mit brachialer Gewalt.
Schaurige Schurken aus ferner Vergangenheit
Was für viele Zuschauer die Faszination der ersten Staffel ausmachte, kennzeichnet im Wesentlichen auch die zweite. Natürlich wird die Lust eines Publikums bedient, sich gefahrlos mit schaurigen Schurken aus ferner Vergangenheit zu identifizieren, die niederen Instinken folgen. Natürlich wird, mit Sex und Gewalt, Voyeurismus gekitzelt. Obendrein bietet die Serie, fürs gute Gefühl der Zuschauer, ein klitzekleines Bildungserlebnis. Doch, Vorsicht: Fernsehmacher Fontana nimmt sich Freiheiten.
Dennoch ist „Borgia“ – mancher Kritiker-Häme zum Trotz – mehr als morbider Mittelalter-Mumpitz. Die Serie zeichnet das Psychogramm einer kaputten Familie, die Grenzen überschreitet, im buchstäblichen wie im übertragenen Sinn, die Tabus bricht und insgeheim weiß, dass sie genau deswegen von der feinen Gesellschaft nie vollends akzeptiert wird. Die Familie ahnt zugleich, dass sie letztlich an ihrem Größenwahn zu Grunde gehen muss.
Berlusconis Medienimperium wollte die Serie nicht
Den raffiniert eingefädelten Intrigen stehen zumeist biedere schauspielerische Leistungen entgegen. Was die Sache nicht eben besser macht, ist blutarme Synchronisation der englischen Original-Dialoge. Die Kulisse bietet allzu oft mehr als das Personal. Wie bei den „Tudors“ können sich die Zuschauer satt sehen an kostbaren Kostümen und prächtigen Palästen. So sind vor Kurzem Szenen für die dritte und letzte Staffel im Prager Martinicky-Palast gedreht worden, einem reich verzierten Renaissance-Gebäude, dessen Räume einst die sozialistischen Machthaber in bilderstürmerischem Furor weiß pinselten. Die TV-Produktion verpasste den Sälen wieder stilechte Fresken. Dafür durfte sie das Gebäude gratis nutzen. Tschechiens Hauptstadt atmet vielerorts, bei niedrigen Kosten, immer noch feudales Flair.
Im Land, in dem die Borgia Geschichte schrieben, nutzt Bezahlkanal Sky Italia die Ausstrahlungsrechte. Auch das TV-Imperium Mediaset mit seinen frei empfangbaren Sendern hätte „Borgia“ haben können. Doch die Berlusconi-Truppe winkte ab: „Zu nah an der Realität.“ Borgia lebt.
Warum Amerika Desinteresse demonstriert
Nur nicht in den USA. Während der Renaissance-Clan inzwischen in rund 90 Ländern sein Unwesen treibt, demonstriert Amerika Desinteresse. Auf die Frage, wie viele Interviews er mit US-Medien geführt habe, antwortet John Doman beim Rotwein trocken: „Keins.“
Wen wundert’s. Amerikaner können Macht und Mafia besser erzählen – sogar mit weniger Protz und Prunk. „Lilyhammer“, demnächst bei Arte, macht’s vor. Die Serie spielt in Norwegen – auf dem Dorf.