Washington. . Fast ein Vierteljahrhundert saß die in Berlin geborene Debra Milke in einer US-Todeszelle. Sie war 1990 wegen des Mordes an ihrem kleinen Sohn zum Tode verurteilt worden, beteuerte aber immer ihre Unschuld. Jetzt kommt sie auf Kaution frei - bis zur Neuauflage ihres Prozesses.

Vor 15 Jahren hatte Debra Milke bereits ihre Henkersmahlzeit ausgesucht und angefangen zu beten. Ihre Exekution per Giftspritze stand unmittelbar bevor. Seit gestern ist für die inzwischen grauhaarig gewordene gebürtige Berlinerin, die seit über 23 Jahren im US-Bundesstaat Arizona wegen eines Mordes hinter Gittern sitzt, den sie nicht begangen haben will, die Freiheit zum Greifen nahe. Zumindest vorübergehend. Richterin Rosa Mroz in Maricopa County bei Phoenix hat die Freilassung der 49-Jährigen gegen eine Kaution von 250 000 Dollar angeordnet. Bis zu einem neuen Prozess, der in wenigen Wochen stattfinden soll. Ob sich Debra Milke dann endgültig aus den Mühlsteinen der amerikanischen Justiz befreien kann, ist noch ungewiss.

Der Fall: Weil sie zwei Männer damit beauftragt haben soll, am 2. Dezember 1989 ihren damals vier Jahre alten Sohn Christopher in der Wüste bei Phoenix zu erschießen, verurteilte eine Jury am 12. Oktober 1990 die damals 25-Jährige wegen Mordes, Verschwörung sowie Kindesentführung und -missbrauchs zum Tode.

Keine schriftliche Beglaubigung des angeblichen Geständnisses

Obwohl Milke unablässig ihre Unschuld beteuerte.

Obwohl die geständigen und ebenfalls seither im Todestrakt sitzenden Täter James Styers und Roger Scott laut Gerichtsakten niemals (wie von der Anklage ins Feld geführt) behauptet hatten, Milke habe sie zum Mord angestiftet, um so an die 50 000 Dollar wertvolle Lebensversicherung des Kindes zu gelangen.

Obwohl der allein mit den Ermittlungen befasste Polizeikommissar Armando Saldate weder Tonband-Protokolle und Notizen noch eine schriftliche Beglaubigung beibrachte für das angebliche Geständnis der Mutter. Sie soll ihren Sohn, so Saldate, anstatt zu einer Fahrt zum Weihnachtsmann in einem Einkaufszentrum zur Hinrichtung freigegeben haben.

Bis zum vergangenen Frühjahr saß die in Berlin geborene Tochter eines amerikanischen GI’s und einer deutschen Mutter, die nur die USA-Staatsbürgerschaft besitzt, unter der Registriernummer 83 533 im Staatsgefängnis von Perryville/Arizona. Die meiste Zeit davon in Einzelhaft. Eine von drei Frauen, die in Arizona bis dahin auf ihre Hinrichtung warteten.

Dann machte Alex Kozinski, Richter am Bundesberufungsgericht für den 9. Distrikt in San Francisco, dem nicht nur von Prominenten wie Richard von Weizsäcker, Alfred Biolek, Uschi Glas oder Günther Jauch als Justizskandal bezeichneten Fall ein Ende. Das Todesurteil wurde aufgehoben. Milke habe das Gegenteil von einem „fairen Prozess“ erhalten, stellte Kozinski fest. Womit allerdings nicht automatisch die Beendigung des Freiheitsentzugs verbunden war.

„Skandalöse Entscheidung“

Denn im stramm republikanisch geführten Südstaat Arizona ist die Justiz-Spitze bis heute überzeugt, dass Milke schuldig ist. Nähere Gründe? Unbekannt.

Generalstaatsanwalt Tom Horn kündigte seinerzeit im Fernsehen wütend an, er selbst werde dafür sorgen, dass die „skandalöse Entscheidung“ des Gerichts in Kalifornien aufgehoben werde. Zur Erinnerung: Richter Kozinski hatte das Urteil als „Schande“ für die Behörden in Arizona klassifiziert: „Kein zivilisiertes Justizsystem darf sich auf solche fragwürdigen Beweismittel stützen, wenn es darum geht, einen Menschen zum Tode zu verurteilen.“

Die Breitseite war allein auf Armando Saldate gemünzt. Erst nach dem Urteilsspruch gegen Milke erfuhren die Geschworenen, die sich mangels Alternativen restlos auf die Angaben des Ermittlers verlassen hatten, mit wem sie da zu tun hatten.

Saldate hatte mehrfach unter Eid gelogen, Beschuldigten-Rechte massiv verletzt, Gefangene misshandelt, Geständnisse frei erfunden und so Unschuldige hinter Gitter gebracht hatte. Das ungeheuer belastende Material hatten Milkes Verteidiger durch ein akribisches Aktenstudium in den Archiven zusammenstellen lassen.

Was nach Recherchen der Lokalzeitung „The Arizona Republic“ Staatsanwalt Vince Imbordino aber nicht davon abhält, Saldate demnächst erneut in den Zeugenstand zu rufen. „Es ist ein Politikum“, kommentieren Lokal-Journalisten, „man will keine Schuld eingestehen.“

Der heute als Rentner bei Phoenix lebende ehemalige Staatsdiener hatte Milke im ersten Prozess so beschrieben: „schuldig wie die Hölle und das Böse“.