Washington. . Die US-Regierung plant eine Strafrechts-Reform. Sie will die hoffnungslos überfüllten Gefängnisse im Land entlasten. Kleinere Drogen-Delikte etwa sollen nicht mehr drakonisch bestraft werden. Die weltweit beispiellose US-Wegsperrkultur schlägt im Jahr mit 80 Milliarden Dollar zu Buche.

„Zu viele Amerikaner gehen für viel zu lange Zeit und ohne gute Gründe in zu viele Gefängnisse“. Der Satz, der einem Offenbarungseid in der Justiz-Politik gleichkommt, stammt nicht von Menschenrechtsgruppen. Gesagt hat ihn gestern der amerikanische Justizminister Eric Holder. Und im gleichen Atemzug Gegenmaßnahmen angekündigt. Um die im Schnitt um 40 Prozent überbelegten Bundes-Gefängnisse zu entlasten und einen ähnlichen Effekt in den nicht minder prekären Justizvollzugsanstalten der 50 Bundesstaaten auszulösen, soll der seit Jahren kritisierte Strafenkatalog radikal überarbeitet werden.

Wie Holder vor der Anwaltskammer in San Francisco sagte, steht eine Reform der im Zuge der Drogenwelle in den 80er Jahren verschärften Mindeststrafen dabei im Vordergrund. Beispiel: Wer bis vor kurzem mit fünf Gramm der gefährliche Billig-Droge Crack erwischt wurde, ging obligatorisch für fünf Jahre ins Gefängnis. Zehn Gramm = zehn Jahre. Völlig unberücksichtigt bleib dabei, ob es sich bei dem Delinquenten um einen gewalttätigen, vorbestraften Drogen-Dealer mit Anschluss an ein Kartell handelte. Oder um einen, wie in vielen sozial schwachen Stadtvierteln zu beobachten, afroamerikanischen Verlierer der bröckelnden Wohlstandsgesellschaft.

"Drastisches Ungleichgewicht" bei Drogendelikten

Allein aus diesem Grund stieg der Anteil von Schwarzen in den US-Gefängnissen, die wegen eines Drogendeliktes einsitzen, in den vergangenen Jahren nach einer Studie des Kongresses exorbitant. Weil die Straf-Schwelle beim teureren, eher von Weißen konsumierten Kokain 100 Mal höher lag, entstand laut Holder eine „drastisches Ungleichgewicht“. In Zukunft sollen Drogen-Delikte, in denen weder Gewalt noch Organisierte Kriminalität eine Rolle spielen, keine Mindeststrafen mehr nach sich ziehen. Holder: Wir müssen den Teufelskreis aus Armut, Kriminalität und Inhaftierung aufbrechen. Er schwächt zu viele Kommunen.“

Holder hat die 94 Generalstaatsanwälte im Land angewiesen, entsprechende Konzepte zu entwickeln. Das Finanz-Argument spielt dabei die Hauptrolle. Amerikas weltweit beispiellose Wegsperrkultur schlägt im Jahr mit 80 Milliarden Dollar zu Buche. Kein anderer Staat, über den belastbare Zahlen vorliegen, bringt so viele seiner Bürger hinter Gitter. Innerhalb einer Generation hat sich der Anteil der Inhaftierten in der Gesamtbevölkerung fast verfünffacht: 1980 waren es 139, 2010 bereits 750 von 100 000 Amerikanern. Obwohl Amerika nur fünf Prozent der Weltbevölkerung ausmacht, sitzen 25 Prozent aller weltweit Inhaftierten in Amerika ein: cirka 2,5 Millionen. Und das, wie der Hungerstreik gegen die verbreitete Isolationshaft in etlichen Gefängnissen Kaliforniens gerade gezeigt hat, unter härteren Bedingungen als irgendwo sonst in der westlichen Welt.

"Three Strikes and You're Out" - Rechtsprechung nach Baseball-Regel

Markantestes Indiz dafür ist eine Kriminalpolitik, die Gefangene kaum auf die Rückkehr in die Freiheit vorbereitet. So landen rund 70 Prozent der Verurteilten wegen Verstoßes gegen Bewährungsauflagen oder wegen neuer Straftaten innerhalb kurzer Zeit wieder hinter Gittern. Dabei zieht oft das sogenannte "Three Strikes and You're Out"-Gesetz. Das nach einer Regel im Baseball benannte Gesetz - drei Verstöße und du bist ausgeschieden - bedeutet, dass Straftäter, die beim dritten Vergehen, selbst wenn es nur eine Bagatelle war, automatisch oft zu lebenslangen Freiheitsstrafen verurteilt werden. Kalifornien hat das Gesetz Anfang des Jahres gekippt. In der Konsequenz mussten knapp 3000 Inhaftierte freigelassen werden.

Justizminister Holder muss nach Ansicht von Kriminal-Experten bei seinen Reformversuchen, die auch Resozialisierungsprogramme für ältere, unauffällig gebliebene Gefangene und gemeinnützige Arbeit beinhalten, nicht nur mit Protesten konservativer Republikaner rechnen. Sondern auch mit Widerstand aus der Wirtschaft. Privaten Gefängnis-Betreibern wie Marktführer „Corrections Corporation of America“ (CCA), der von Nashville (Tennessee) aus über 60 Haftanstalten mit 80 000 Insassen und 17 500 Angestellten betreibt, würden mit Holders Konzept langfristig die „Kunden“ entzogen. Landesweit unterhält die private Bestrafungswirtschaft 400 Gefängnisse.