Washington. Das Fernsehen der Zukunft hat einen Namen: Es heißt Netflix. Das Unternehmen startete als Online-Videothek, bis die Eigentümer auf die Idee kamen, selbstproduzierte Frischware anzubieten. Dabei kommen Serien in Kino-Qualität heraus – wie „House Of Cards“.
Frank Underwood darf man nicht unterschätzen. Das hat der Mann mit dem maliziösen Lächeln mit seinem Erschaffer gemein. Wie der von Kevin Spacey („Die üblichen Verdächtigen“ und „American Beauty“) gespielte Kongressabgeordnete mit seiner Eiswürfel lächelnden Gattin Claire (Robin Wright) in Washington icherzählerisch über Leichen und Sitten geht, um sich die Vizepräsidentschaft zu ergaunern, hat man so intrigantenstadlhaft noch nicht gesehen.
Wer die erste Reihe von „House of Cards“ hinter sich hat, die nach einer düsteren BBC-Vorlage von 1990 konfiguriert wurde und gerade in den USA sensationelle neun Emmy-Nominierungen davon trug, verlangt reflexartig nach mehr. Da trifft es sich, dass Regisseur David Fincher („Fightclub“) schon bald mit den Dreharbeiten für die zweite Staffel beginnen soll.
House of Cards - ein Wagnis, das sich auszahlte
Fincher? Spacey? Wright? Was sich nach teurem Hollywood, mindestens aber nach Kabelsendern wie HBO, Showtime oder AMC anhört, die sich mit „The Sopranos“, „The Wire“, „Breaking Bad“ oder „Games of Thrones“ bezahlt und verdient gemacht haben, spielt sich in Wahrheit in einer 1997 gegründeten Online-Videothek ab.
Reed Hastings börsennotierte Firma Netflix war genau das. Bis man auf die Idee kam, neben den Konserven anderer eigene frische Ware ins digitale Regal zu stellen. Für 100 Millionen Dollar wurde auf höchstem Niveau „House of Cards“ produziert. Sämtliche Folgen, die auf Rückblenden verzichten, landeten ganz gegen herkömmliche Sehgewohnheiten auf einen Hieb im Internet. Das Wagnis zahlte sich aus.
Macchiavelli plus Macbeth
Weil die Serie unter Freunden des Abgründigen und Morbiden schnell enormes Suchtpotenzial entwickelte, sahen viele Kunden die Story per „Binge Viewing“, in Anlehnung an das englische Wort für Komasaufen (binge drinking), in einem Rutsch und behielten so die völlige Kontrolle über den Konsum.
Das Polit-Drama, dessen Bösartigkeit Machiavelli und Macbeth zusammen spielend toppt, bescherte Netflix allein im ersten Qartal dieses Jahres zwei Millionen neue Kunden. Inzwischen laden sich weltweit 36 Millionen für Monatspreise von cirka acht Dollar alte Serien und neues Material aufs die stationäre Glotze oder das iPad. Jeder zehnte Amerikaner ist Netflixer, die Aktie rangiert bei über 200 Dollar.
Der Krieg um die Wohnzimmer ist eröffnet
Beobachter der sich in den USA rasant wandelnden TV-Branche sehen das Ende des Booms noch nicht erreicht. Die schaurig-schöne Mystery-Show „Hemlock Grove“ läuft bereits, neue Episoden der Kult-Comedy „Arrested Development“ starten in den kommenden Monaten. Und nächstes Jahr feiern die Wachowski-Geschwister („Matrix“) mit einem Science-Fiction-Projekt ihre Premiere bei Netflix, das in Europa bisher nur in England, Irland und Skandinavien zu erreichen ist.
Wann das Unternehmen auch in Deutschland angreift, ist laut Branchenkreisen „eine Frage der Zeit“. Dort stieße der digitale Zerstreuungslieferant auf Video-auf-Wunsch-Konkurrenz von Maxdome (ProSiebenSat.1) bis Lovefilm (Amazon). Wobei keiner von beiden an die Angebotstiefe der Amerikaner heranreicht. Sollte „House of Cards“, in Deutschland nur über den Bezahlsender Sky zu sehen, keine Eintagsfliege bleiben, sondern durch einfallsreiche Drehbuchschreiber ebenbürtige Nachfolger bei Netflix bekommen, hinterfragt sich das konventionelle, auf Gebühren und Werbung bauende Geschäftsmodells des Fernsehens insgesamt. „Wenn alles im Internet steht, dann ist der Krieg um die Wohnzimmer endgültig eröffnet“, sagte ein Medienwissenschaftler dem „Time“-Magazin.