Aparecida. . Eine schlichte Marienstatue lockt zahlreiche Pilger in die Wallfahrts-Basilika von Aparecida. Jährlich reisen Millionen Menschen zu ihr, um die Wundertätige um Hilfe zu bitten. Und auch der Papst wird ihr seine Aufwartung machen, bevor er zum Weltjugendtag reist.
Es war das Treffen des großen weißen Mannes mit der kleinen schwarzen Frau. Noch bevor Papst Franziskus am Donnerstag von Hunderttausenden Jugendlichen auf dem Weltjugendtag in Rio de Janeiro begrüßt wird, besuchte er am Mittwoch das brasilianische Nationalheiligtum, die Muttergottes von Aparecida. Mit einem reich bestickten Mantel steht die rund 40 Zentimeter kleine, schwarze Marienstatue dort in einem goldenen Fenster an der Stirnseite der Wallfahrts-Basilika – der nach dem Petersdom zweitgrößten Kirche der Welt.
Die kennt im Heiligen-verrückten Brasilien jedes Kind, Kopien der Marienfigur stehen im ganzen Land – und das ganze Land pilgert nach Aparecida. Mehr als elf Millionen Menschen kamen vergangenes Jahr und machten die Kleinstadt auf halbem Weg zwischen Rio und São Paulo damit zum zweitgrößten Marienwallfahrtsort der Welt, nur noch übertroffen vom mexikanischen Guadalupe. „Aber deren Zahlen sind nicht so belastbar wie unsere“, merkt Darci José Nicoli an.
Weihbischof Darci ist Chef der Wallfahrt in Aparecida und nicht nur Priester, sondern auch Manager und einer der Hauptverantwortlichen für den immensen Erfolg Aparecidas. „Zuletzt stieg die Pilgerzahl jeweils um rund vier Prozent pro Jahr“, rechnet Darci im Gespräch mit der NRZ vor. Und er ergänzt: „Im Schnitt kommen mehr als 200.000 Pilger pro Woche.“ Zum Vergleich: Nordeuropas Top-Marienwallfahrtsort Kevelaer zählt rund 800.000 Pilger im Jahr.
Keine Erscheinungen - nur eine Figur, die Wunderbewirken soll
„Wir hatten hier keine Marienerscheinungen. Wir haben nur eine kleine Figur, ganz simpel – aber vielleicht ist genau das das Besondere“, antwortet Darci auf die Frage nach dem Grund für die immense Begeisterung der Pilger. 1717 sollen Fischer die in zwei Teile zerbrochene Muttergottes aus dem Fluss gezogen haben – und prompt auch wieder reichlich Fische gefangen haben. Die Menschen reparierten die Figur, stellten sie in eine Hütte, verehrten sie und erzählten sich erste Wundergeschichten.
Richtig Fahrt nahm der Wallfahrtsbetrieb aber erst Ende des 19. Jahrhunderts auf, als Patres aus dem bayerischen Altötting nach Aparecida kamen und gewissermaßen spirituelle Entwicklungshilfe leisteten. „Sie haben die Figur überall im Land gezeigt, dadurch wurde die Geschichte erst richtig bekannt“, erzählt Darci. Schon früh hat man in Aparecida zudem auf Medien gesetzt. Heute ist der eigene Radio-Sender der Kirche laut Darci „das größte religiöse Radio Amerikas“ und auch TV Aparecida im Fernsehland Brasilien eine namhafte Größe. In den 1950er Jahren startete zudem der Bau der neuen Wallfahrtskirche, die zwar 1980 geweiht wurde, aber heute längst nicht fertig ist.
Wallfahrtsorte leben vom Geld der Pilger
Wallfahrtsorte leben nicht vom Gebet, sondern vom Geld der Pilger – das ist in Aparecida nicht anders als in Kevelaer oder Lourdes. Doch die kommerziellen Angebote des brasilianischen Marien-Heiligtums sind für deutsche Besucher denn doch etwas gewöhnungsbedürftig. So gibt es im Keller der Kirche zwischen der Beichtkapelle und dem Raum mit den Devotionalien dankbarer Pilger gleich ein Fast-Food-Restaurant.
Und wer hinter der Basilika über den Parkplatz geht, der auch für Freiluftgottesdienste genutzt wird, erreicht ein Einkaufszentrum das neben weiteren Schnellrestaurants auch hunderte Läden mit Souvenirs und Plastikspielzeug sowie eine kleine Kirmes und ein stattliches Aquarium umfasst.
„Nach Aparecida kommen heißt das Leben zu genießen“, erklärt Bischof Darci das ungewöhnliche Ambiente. „In Lourdes geht es um Heilung, in Fatima um Buße – und bei uns ums Feiern!“ Die Pilger würden beten, „aber dann ist Zeit für ein Bier, ein wenig Shopping – und dann fahren sie guter Dinge wieder nach Hause.“ Und weil so viele Familien nach Aparecida kämen, gäbe es eben auch entsprechend kindgerechte Angebote. „Für manchen Brasilianer ist ein Besuch hier ein lebensentscheidendes Ereignis“, sagt Darci. Aber er weiß: „Für viele Europäer ist es eher wie Disneyworld.“
Gemeinsam neue Wege suchen
Doch wer Aparecida darauf reduziert, verkennt die wahre Bedeutung. 2007 haben Bischofs-Delegationen aus ganz Lateinamerika dort beschlossen, gemeinsam neue Wege zu suchen, die katholische Botschaft zu verkünden. Von der wenden sich angesichts der Konkurrenz durch die charismatische Pfingst- oder evangelikale Kirchen auch auf dem katholischsten Kontinent der Welt immer mehr Menschen ab.
Damals federführend mit dabei: Kardinal Jorge Bergoglio aus Buenos Aires – der heutige Papst. Auch diese Ideen will Franziskus wohl mit seinem heutigen Besuch wieder in Erinnerung rufen. Immerhin soll er das Schlussdokument von damals schon mehreren Staats- und Regierungschefs aus Lateinamerika bei Besuchen in Rom „für den Rückflug“ mit auf den Weg gegeben haben.
Und doch könnte sich in Aparecida der Eindruck des religiösen Freizeitparks künftig noch verstärken – denn der umtriebige Wallfahrtschef Darci ist längst nicht am Ende seiner Pläne. Gerade habe ein französisches Konsortium den Zuschlag für ein 8 Millionen Euro teures Multimedia-Zentrum erhalten, in dem sich Besucher künftig virtuell in die Zeit Jesu versetzen können. Und bis 2017, wenn Aparecida das 300-jährige Jubiläum seiner Marienfigur feiert, soll auch die Seilbahn fertig sein, um fußlahmen Pilgern den Kreuzweg zu erleichtern. So komfortabel zwischen Himmel und Erde, Basilika und Einkaufszentrum zu schweben, dürfte manchem Besucher dann noch einmal eine ganz neue spirituelle Erfahrung bescheren.