Mannheim. . Text-Analyse einmal anders. Ein Mannheimer Abiturient hat den Kafka-Klassiker “Der Process“ in einem selbst getexteten Rap besprochen - und von seinem Lehrer dafür die Höchstpunktzahl bekommen.

Die Lektüre ist Pflicht, diese Art der Interpretation eine Kür. Tobias Stoll, Abiturient des Peter Petersen-Gymnasiums in Mannheim, hat eine Analyse eines Kafka-Romans gerappt. Dafür gab es eine Eins plus.

„Der Process“ gilt als Kafkas Hauptwerk, ist sein bekanntestes Buch. Eine Geschichte über die Erfahrung mit einer absurden Bürokratie, ihren Vertretern und ihren Auswüchsen. Keine leichte Kost, für viele Abiturienten sogar ein Alptraum. Nicht für Tobias Stoll. Er nennt es „eines meiner Lieblingsbücher“, hat es mehrfach gelesen und sich seine Gedanken gemacht.

Deshalb wählt der 18-Jährige im Fach Deutsch im Rahmen der gleichwertigen Feststellung von Schülerleistungen (GFS) aus. Die erlaubt es Schülern in Baden-Württemberg, selbstständig ein Thema zu erarbeiten und sich dafür beurteilen zu lassen. „Zählt dann wie eine schriftliche Klassenarbeit“, weiß Stoll.

Referat wäre Stoll zu langweilig gewesen

Kafka also. Aber nicht als Referat. Zu langweilig, nichts Neues. „Irgendwann hatte ich die Idee mit dem Rap“, erinnert sich Tobias. Und dann hat er auch ein wenig Glück.

Denn bei seinem Deutschlehrer Christian Mahnke rennt er mit dem Vorschlag offene Türen ein – auch weil der Pädagoge eine gewisse Nähe zum Thema hat. Nicht nur zu Kafka, auch zu dieser Art von Musik. Der 34-Jährige hat seine Staatsexamensarbeit im Fach Literaturwissenschaft über „Rap als Literatur einer nicht-literarischen Jugendkultur“ geschrieben, nutzt im Unterricht auch schon mal deutschen Rap, um Schüler für Gedicht-Interpretationen zu begeistern. „Mach das unbedingt“, ermutigt er Tobias.

Und Tobias macht. „Aber das war schwieriger, als ich gedacht habe.“ Obwohl Rap seine Musik ist. Eigene Texte schreibt und rappt der Abiturient auch schon seit Jahren, aber Kafka ist eine andere Nummer.

„Manchmal hatte ich eine echte Schreibblockade. Es sollten ja auch keine einfachen Haus-Maus-Reime werden.“ Gut einen Monat sitzt er am Text, schreibt, probiert aus, streicht Passagen, probiert wieder. Dann steigt er in seinen Kleiderschrank. Zwischen Pullis und Jacken rappt er fünf Minuten und 51 Sekunden zu Rhythmen, die er aus dem Netz herunter geladen hat.

„Mein Mikro ist nicht so gut“, erklärt Tobias. „Im Schrank ist die Akustik besser. Da wird der Schall gedämpft.“ Am Computer wird die Aufnahme bearbeitet, werden Spuren übereinandergelegt und gemischt.

Das Ergebnis kann sich hören lassen. Musikalisch, vor allem aber textlich.

Josef K., du bist verhaftet und egal, was du machst / Es gibt keinen Ausweg, also rein in die Schlacht / Du bist verhaftet, ziehst dich selbst in den Bann / Hast du keine Einsicht, bist du ewig gefangen.

Sein Lehrer ist vom Ergebnis begeistert

Tobias hat den „Process“ interpretiert, hat Bezüge zwischen Autor und Werk hergestellt, sprachliche Elemente verwendet, die typisch sind für Kafka. Die Mitschüler finden es „cool“, der Lehrer ist begeistert. „Ein Rap von bemerkenswerter Qualität“, lobt Mahnke. Weil die wichtigsten Motive des Romans darin auftauchen würden, aber auch mit der Vieldeutigkeit der deutschen Sprache gespielt werde. Dementsprechend fällt die Benotung aus: 15 Punkte, eine 1+.

Auch interessant

Auf Youtube hat Tobias das Lied schon hochgeladen, auf den Landesbildungsserver soll der Kafka-Rap ebenfalls, damit auch andere Pädagogen die Möglichkeit erhalten, den Song im Unterricht zu verwenden. „Ich hätte nicht gedacht, dass das Projekt solche Wellen schlägt“, zeigt sich Tobias immer noch überrascht.

Einen Nachfolger soll es trotzdem nicht geben . Kurz hat der junge Mann zwar mal daran gedacht, den „Michael Kohlhaas“ zu verrappen, die Idee dann aber wieder verworfen. „Beim zweiten Mal würde es bestimmt nicht so einen großen Nachhall geben.“

Mit dem Sprechgesang selbst aber will Tobias weitermachen. Aus Spaß, nicht beruflich. Da hat der Abiturient mit dem 1,5er Schnitt andere Pläne. „Im Herbst will ich mit dem Studium der Molekularen Biotechnologe beginnen “ verrät er und ahnt. „Da werde ich meine Referate wohl auf herkömmliche Weise halten.“