Marseille. . In Marseille steht PIP-Firmengründer Jean-Claude Mas vor Gericht. Dem Gründer der Firma „Poly Implante Prothèse“ (PIP) wird vorgeworfen, mangelhafte Brustimplantate aus billigem Industriesilikon hergestellt und weltweit vertrieben zu haben.
Diesen Tag haben über 5000 Frauen in Frankreich lange herbeigesehnt: Von diesem Mittwoch an muss sich der Unternehmer Jean-Claude Mas (73) vor einem Strafgericht in Marseille wegen des Straftatbestandes der „schweren Täuschung“ verantworten. Dem Gründer der Firma „Poly Implante Prothèse“ (PIP) wird vorgeworfen, mangelhafte Brustimplantate aus billigem Industriesilikon hergestellt und weltweit vertrieben zu haben.
Viele Opfer klagen über starke Schmerzen, weil die Implantate rissen und Silikon in die Brust gelaufen ist. Andere werden von Albträumen geplagt, weil sie das beklemmende Gefühl haben, tickende Zeitbomben im Körper zu haben. PIP – diese Abkürzung steht heute für einen der größten und juristisch kompliziertesten Medizin-Skandale der letzten Jahrzehnte.
Bevor Jean-Claude Mas zum Firmenboss aufstieg, hatte er seine Brötchen als Vertreter verdient. Am Fuße der Pyrenäen – zwischen Pau und Toulouse – verhökerte er Wein und Cognac, Versicherungspolicen und Medikamente.
Eine halbe Million Implantate verkauft
1982 lernte er Dominique Lucciardi kennen. Sie führte damals die Geschäfte eines kleinen Familienunternehmens, das sich auf Brustprothesen spezialisiert hatte. Sie wurde die Mutter seiner Kinder. Er übernahm die Firma. Und setzte auf die boomende Schönheitschirurgie. Eine halbe Million Implantate wird Mas von La Seyne-sur-Mer aus verkaufen – von Paris bis Berlin, von Los Angeles bis Buenos Aires, insgesamt in 65 Länder. Schließlich hat er 120 Mitarbeiter.
Heute sprechen ehemalige Angestellte von einer zerrissenen Persönlichkeit. Einem Mann, der bei Geschäftsessen mit Kunden teuerste Bordeaux-Weine servieren ließ, der aber in der Firma den Tyrannen gab und seinen Mitarbeitern durch ständige Besserwisserei und notorische Wutanfälle auf die Nerven ging. Andere berichteten, dass sie Jean-Claude Mas, zeitweilig dem Alkohol und der Poker-Leidenschaft verfallen, regelmäßig nachmittags „abgefüllt“ aus der Bar abholen mussten.
Dem Alkoholund Poker verfallen
Der Skrupellose machte Geschäfte auf Kosten von Frauen. Als sich Patienten in den USA beschwerten, verbannte die US-Gesundheitsbehörde die umstrittenen PIP-Kissen schon im Jahr 2000 vom US-Markt. Auch in Europa kam PIP zunehmend ins Gerede. Noch zehn Jahre sollten vergehen, ehe die französische Aufsichtsbehörde Mas die Lizenz entzog.
Die 5127 französischen Frauen, die ihn jetzt verklagen, hoffen auf eine Verurteilung des PIP-Bosses sowie der vier mitangeklagten leitenden Mitarbeiter – und auf eine Entschädigung. Nur woher soll das Geld kommen? PIP war 2010 insolvent. Jean-Claude Mas präsentiert sich seitdem als mittellos.
Zivilrechtliche Ansprüche erheben
Der Münchener Anwalt Michael Graf, der etwa 250 mutmaßliche PIP-Opfer in Deutschland vertritt, sagt: „Nur auf das Strafverfahren zu setzen, halte ich für gefährlich.“ Er rät seinen Mandantinnen, zivilrechtliche Ansprüche gegen weitere Beteiligte geltend zu machen: gegen behandelnde Ärzte und Kliniken etwa, gegen die Brenntag AG, die das Silikon lieferte, gegen den kontrollierenden TÜV Rheinland und den Allianz-Konzern in Frankreich.