Edmonton.. Als Fünfzehnjährige wurde eine Kanadierin von Mitschülern vergewaltigt. Später kursierten Fotos der Taten im Internet. Ihr Leiden war so groß, dass sie sich mit siebzehn Jahren das Leben nahm. Die Geschichte von Rehtaeh Parsons ist kein Einzelfall. Er löste in Kanada eine Debatte über das Mobbing im Netz aus.

Rehtaeh Parsons war jung, humorvoll und intelligent. Sie war eine gute Schülerin, spielte gerne mit ihren Schwestern und liebte Haustiere. Auch ihre Familie war stets für sie da, und doch endete das Leben der 17-jährigen Kanadierin viel zu früh. Letzte Woche erhängte sie sich im Bad ihrer Eltern – weil sie dem Internet-Mobbing ihrer Mitschüler nicht mehr gewachsen war.

Seitdem diskutiert Kanada erneut über Mobbing im Netz. Denn Geschichten wie die von Rehtaeh Parsons hat es in dem Land schon viel zu häufig gegeben. Im vergangenen Herbst hatte der Selbstmord der 15-jährigen Schülerin Amanda Todd weltweite Anteilnahme ausgelöst. Rehtaeh Parsons war zwei Jahre älter als Amanda.

Die beiden Mädchen mussten Ähnliches erleiden. Jahrelang waren sie von ihren Mitschülern gehänselt, verspottet und drangsaliert worden, weil im Internet demütigende Fotos von ihnen aufgetaucht waren. Im Falle von Amanda Todd waren es Nacktaufnahmen, bei Rehtaeh Parsons Fotos ihrer Vergewaltigung.

„Der Tag hat das Leben unserer Familie für immer verändert“

Im November 2011 wurde ihr Schreckliches angetan. Die damals 15-Jährige feierte mit einer Freundin im Haus eines Bekannten im kanadischen Coal Harbor eine Party. Parsons Mutter schildert jene schicksalhafte Nacht auf einer eigens für ihre verstorbene Tochter eingerichteten Facebook-Seite:

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„Sie wurde von vier jungen Männern vergewaltigt. Einer hat eine Aufnahme gemacht und diese in der Schule und im Wohnort verteilt, wo sie sich schnell verbreitete.“ Kurz darauf musste sich die Schülerin allerorten als Hure beschimpfen lassen. Bis dahin beste Freunde wandten sich von ihr ab. „Der Tag hat das Leben unserer Familie für immer verändert“, schließt die Mutter.

Rehtaeh Parsons suchte die Schuld lange bei sich selbst und wurde depressiv. Sie zog in die nahe Großstadt Halifax und wechselte die Schule. Doch es half nichts: Wo sie auch hinkam, das schlimme Foto war bereits da. Schon bald trug sie sich mit Selbstmord-Gedanken. Einmal ließ sie sich für sechs Wochen in ein Krankenhaus einweisen, um sich vor sich selbst zu schützen. Eineinhalb Jahre lang kämpfte das junge Mädchen mit sich und ihrer Umwelt. Jetzt ist sie tot.

Und wieder fragt sich ganz Kanada: Wie konnte das passieren? Warum konnte der Staat das Mädchen nicht schützen? „Unser Justizsystem hat versagt“, ist Rehtaehs Mutter überzeugt. Die Polizei hatte ermittelt, doch aus Mangel an Beweisen war es nie zu einem Verfahren gekommen. Der Grund: „Sie konnten nicht beweisen, wer das Foto gemacht hat.“

Rufe nach Selbstjustiz werden laut

Ein Polizeisprecher vertrat Donnerstag im kanadischen Sender CBC die Auffassung, dass die Beweise für eine Verurteilung nicht ausgereicht hätten. Offenbar war in jener Nacht auch viel Alkohol im Spiel und die Aussagen der Schüler waren widersprüchlich. Rehtaehs Eltern dagegen sind überzeugt davon, dass ihre Tochter im Stich gelassen wurde – von Freunden, dem Staat, der Justiz.

Mittels einer Online-Petition forderten binnen weniger Tage mehr als 10.000 Kanadier, den Fall erneut aufzurollen. Die Regierung hat dem jetzt zugestimmt. Womöglich zu spät. Schon werden im Internet die Rufe nach Selbstjustiz immer lauter. Die mutmaßlichen Täter, selbst noch Schüler, sind nicht mehr sicher. Unter Tränen musste Rehtaehs Mutter im Fernsehen um Mäßigung bitten, um die Wogen einigermaßen zu glätten.

Bei vielen ehemaligen Mitschülern Rehtaehs hat die Nachricht einen Schock ausgelöst. Anfang der Woche schickte die Regierung Jugendpsychologen in die ehemalige High School des Mädchens.