Den Haag. . Die ,,Levenseindekliniek‘‘, die mobile Sterbehilfe in den Niederlanden anbietet, hat in ihrem ersten Jahresbericht mitgeteilt, dass sich im Jahr 2012 714 Menschen gemeldet haben, die getötet werden wollten. Diese seien unheilbar krank. Die Anfragen für den selbst gewählten Tod gehen in die Tausende.
Immer mehr unheilbar kranke Niederländer wollen freiwillig aus dem Leben scheiden. Die mobile Sterbehilfe-Klinik ,,Levenseindekliniek‘‘ hat so viele Anfragen, dass sie Wartelisten führt. Im Ballungszentrum ,,Randstad‘‘ – die Region Amsterdam, Den Haag, Rotterdam, Utrecht – wo zehn Millionen Menschen wohnen, beträgt die Wartezeit inzwischen vier Monate, obwohl sich die Zahl der mobilen ,,Sterbehilfe-Teams‘‘ von fünf auf 17 mehr als verdreifacht hat.
Der Jüngste war 38 Jahre alt
Wie die ,,Levenseindekliniek‘‘ (NVVE) in ihrem ersten Jahresbericht mitteilt, haben sich im vergangenen Jahr 714 Menschen gemeldet, die getötet werden wollten, weil sie unheilbar krank waren. Die Anfragen für den selbst gewählten Tod gehen jedoch in die Tausende.
Von den 714 Gesuchen wurden 198 abgewiesen. Momentan werden 58 Anfragen für Sterbehilfe bearbeitet. Auf der „Warteliste für den Tod“ stehen 187 Menschen. Das Durchschnittsalter lag im vergangenen Jahr bei 76. Der jüngste Euthanasie-Patient war 38 Jahre, der älteste 99 Jahre alt.
„Die Euthanasie-Praxis der Sterbehilfe ist sehr sorgfältig. Es wird nicht leichtfertig gehandelt“, versichert Ärztin Willie Swildens. Sie ist Vorsitzende der Kontrollbehörde, die die Sterbehilfe-Klinik überwacht. Sie lässt die Arbeit der Ärzteteams regelmäßig untersuchen. Und kommt zu dem Schluss, dass die Klinik „dem Bedürfnis von todkranken Menschen entspricht“.
„Das ist Tierarzt-Ethik“
In Deutschland ist weder die aktive Sterbehilfe noch die Tötung auf Verlangen erlaubt. Dennoch habe die Todespraxis aus dem Nachbarland Folgen, so Dr. Matthias Thöns vom Wittener Palliativnetz. „Dadurch breitet sich die gesellschaftlich akzeptierte Tötung aus. Waren es erst einwilligungsfähige Menschen mit schwerster Krankheit, werden nun schon nicht lebensbedrohlich psychisch Erkrankte oder auch nicht Einwilligungsfähige getötet.“ Thöns kritisiert, dass durch die Art der Gesetzgebung in den Niederlanden auch Menschen ohne ausdrücklichen Willen getötet würden. In 900 von 3200 Todesfällen sei das der Fall gewesen. Die Argumente der Ärzte: Jede medizinische Maßnahme sei aussichtslos gewesen, es habe keine Aussicht auf Besserung gegeben, die Lebensqualität war gering, die Angehörigen konnten den Zustand nicht mehr ertragen. „Das ist Tierarztethik.“ Ein weiteres Argument dagegen sei: „13 Prozent der Patienten widerrufen ihren Wunsch auf Tötung.“
Der Euthanasie-Wunsch habe, so Thöns, meist folgende Ursache: „Weil der Mensch Angst vor Schmerzen oder dem Ersticken hat, will er häufig nicht mehr leben. Das können wir mit einer guten Palliativmedizin ausräumen.“ Schmerzen, Atemnot, Depressionen seien sehr gut behandelbar.
Die Klinik, gegründet von der Vereinigung „Freiwilliges Lebensende“, startete vor einem Jahr und warb mit dem Satz: „Willst du nicht mehr leben, dann ruf die 117 an.“ Die Anfragen werden streng geprüft. Sind sie genehmigt, kommt der Arzt mit einem Team und schickt den Menschen in den Tod. Mit einer Spritze oder einem Giftcocktail, den der Sterbewillige im Beisein des Arztes zu sich nimmt.
Manche würden sonst „vor den Zug springen“
Der sogenannte „Euthanasie-Service“ will „den Todeswunsch von Menschen erfüllen“, sagt NVVE-Sprecherin Walburg de Jong. „Wir wissen, dass die meisten Menschen, die sterben wollen, zu Hause sterben wollen. Diesem Wunsch wollen wir entsprechen.“
Die Sterbehilfe der ,,mobilen Todesengel‘‘ können nur Menschen erhalten, die unheilbar krank sind und die einen festen Todeswunsch haben. Auch müssen mindestens zwei Ärzte unabhängig voneinander zustimmen. Aber auch Alzheimer-Patienten, die, als sie von der Krankheit noch nicht befallen waren, in einer Patientenverfügung festgelegt hatten, dass sie im Falle einer Erkrankung an Alzheimer getötet werden wollen, will die NVVE den Sterbewunsch erfüllen. Dieser „humane Tod“ ist nach Ansicht der NVVE eine Hilfe für viele Patienten, von denen manche, sollte ihnen nicht geholfen werden, „vor den Zug springen würden“.
Erstmals erhielt nun auch ein psychisch kranker Patient ärztliche Sterbehilfe vom mobilen Team. Bisher war das tabu. Nun wird untersucht, ob die Tötung mit den geltenden gesetzlichen Euthanasie-Vorschriften vereinbar war.