Essen. . Am 1. März 1983 wurden die ersten neun Modelle in Zürich vorgestellt. Sie wurde zum Retter der Schweizer Uhrenindustrie. In den 1990ern sammelten Millionen Menschen die „Zeitgeistmesser“. Mittlerweile ist der Kult vorbei. Doch Hersteller Swatch hat große Umsatzziele.

„Zürich“ steht auf der Einladung zur Pressekonferenz, die ausgewählten Journalisten Mitte Februar 1983 auf den Schreibtisch flattert. Ein „Qualitätserzeugnis in Kunststofftechnologie“ soll vorgestellt werden. Eine neue Uhr für nur 49,90 Franken. Aber trotzdem quarzgenau, stoßsicher und bis 30 Meter wasserdicht. Nur leider nicht zu reparieren, wenn sie mal kaputt geht. Denn das Gangwerk sitzt in einem hermetisch versiegelten Plastikgehäuse, das computergesteuerte Roboter zusammengefügt haben. Deshalb ist die Uhr auch so günstig. Und weil sie nur aus 51 Einzelteilen besteht, statt wie üblich aus über 90. Der Name des Zeitmessers: Swatch.

Doch die versammelte Journaille zeigt sich wenig beeindruckt. Eher schon belustigt. Eine Uhr aus Plastik? Verkaufsziel: Eine Million Exemplare in den nächsten neun Monaten? Ja sicher. „Sieht so billig aus, wie sie ist“ spottet der Spiegel. Andere nennen die Swatch „Prolex“ oder „ein Häufchen Plastik, in dem sich zwei oder drei Zeiger drehen“.

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Doch aus Hohn und Spott wird schnell Bewunderung. Fast im Alleingang rettet „die unmögliche Uhr“ die damals am Boden liegende Schweizer Uhrenindustrie. Ende des Jahres sind tatsächlich eine Million verkauft. Keine 24 Monate später tragen bereits zehn Millionen Menschen eine Swatch am Handgelenk. Und am 7. April 1992 läuft das hundertmillionste Exemplar vom Band. 2006 sind es 333 Millionen. Seitdem veröffentlicht die Firma keine Verkaufszahlen mehr, nur noch Ziele. Bis 2033 sollen 1111 Millionen Swatch-Uhren verkauft werden.

Bis 2033 sollen 1111 Millionen Uhren verkauft werden

Ihren Erfolg verdankt die Billig-Uhr cleverem Marketing und flotter Werbung – beides bis dahin für eidgenössische Zeitmesser so typisch wie Gebirgszüge für die Niederlande. Verkauft wird der Plastik-Chronometer als Zweituhr, die je nach Gemütszustand, Jahreszeit, Stimmung, Umgebung oder Klima austauschbar ist. Keine Uhr, sondern ein „Zeitgeistmesser“, zumindest aber „ein modisches Accessoire, das nebenbei die Zeit anzeigt“. Um das jedem klar zu machen, lässt Nicolas Hayek, den sie bald „Vater der Swatch“ nennen, auch schon mal ein 140 Meter großes Exemplar der Uhr an einem Frankfurter Wolkenkratzer aufhängen.

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Der Plan geht auf. Anfang der 1990er hat das Swatch-Fieber auch Deutschland erfasst. „Das war schon extrem damals“, erinnert sich Svend Krumnacker, der in Dortmund jahrelang die größte Swatch-Börse Europas veranstaltet hat. Jeder hatte eine dieser Uhren. Viele Menschen besaßen sogar mehrere. „Und mit besonders seltenen Exemplaren“, weiß er, „konntest du deine Frau oder Freundin glücklicher machen als mit einer Rolex.“ Besonders seltene Exemplare können damals allerdings manchmal recht teuer sein. 1991 wechselt eine limitierte Swatch des italienischen Malers Mimmo Paladino für 56 000 Franken den Besitzer.

„Das neue Statussymbol für junge Leute ist das Smart-Phone“

Zu den „normalen“ Swatch gesellen sich schon bald Scubas und Chronos, später auch die extrem flachen Skins. Aus anfangs neun Modellen sind mittlerweile Tausende geworden. Und zwei Mal jährlich kommen ein paar Dutzend neue hinzu. Verkaufen tut sich die Swatch auch nach 30 Jahren noch immer hervorragend. Aber gesammelt wird sie kaum noch. Und Kult ist sie längst nicht mehr. „Das Prestige ist weg“, hat Krumnacker festgestellt und veranstaltet seit einiger Zeit keine Swatch-Börsen mehr. „Es hat sich einfach nicht mehr gelohnt.“ Die Preise sind im Keller. Teenagern und Twens von heute sei es egal, was für eine Uhrenmarke sie am Handgelenk tragen. Wenn sie denn überhaupt noch eine tragen. „Das neue Statussymbol für junge Leute ist das Smart-Phone“, sagt der Dortmunder. „Und das zeigt ja auch die Zeit an.“

So liegen die Swatch in den Schubladen dieser Welt. Manche haben diese Umgebung auch nie verlassen. Gekauft als Sammlerstücke wurden sie nie getragen, sondern gehortet. Idealerweise bei konstanter Temperatur und in Dunkelheit. Trotzdem kann es sein, dass sie nicht mehr viel Wert sind. „Plastikarmbänder werden nach ein paar Jahren spröde, weiß Krumnacker. Das kann man austauschen. „Aber auch die Öle, die die wenigen mechanischen Teile im Inneren der Uhr schmieren, verharzen mit der Zeit.“ Und da steht eine Reparatur – falls überhaupt möglich – nicht im Verhältnis zum Wert einer Swatch.

Empfehlen kann Krumnacker die Plastikuhren trotzdem immer noch. Allerdings nur, um die Zeit abzulesen. „Als Wertanlage würde ich keine Swatch mehr kaufen.“