Essen/Biel. .
Die meisten Deutschen haben seinen Namen nicht gekannt. Aber sie kennen sein Produkt. Weil sie es am Handgelenk tragen. Der verstorbene Nicolas Hayek gilt als „Vater der Swatch”, der erfolgreichsten Plastikuhr der Welt. Sie wird sein Vermächtnis bleiben. Auch wenn der Kult seinen Höhepunkt überschritten hat.
1. März 1983. Auf einer Pressekonferenz in Zürich trauen die angereisten Journalisten ihren Augen nicht. Zu einer „Uhrenpräsentation” hat man sie eingeladen und legt ihnen nun zwölf Zeitmesser aus Plastik vor. „Swatch” soll die neue Marke heißen, nur 39,90 Franken kosten, aber trotzdem quarzgenau, stoßsicher und wasserdicht sein. Nur reparieren lässt sich das Ding nicht. Denn das Gangwerk sitzt in einem hermetisch versiegelten Plastikgehäuse, das computergesteuerte Roboter zusammengefügt haben. Deshalb ist die Uhr auch so günstig. Und weil sie nur aus 51 Einzelteilen besteht, statt wie üblich aus über 150.
Wer freundlich ist, lächelt mitleidig. Eine Uhr aus Plastik? Verkaufsziel: Eine Million Exemplare in den nächsten neun Monaten? Kann nur ein Scherz sein. Wer weniger freundlich ist, nennt die Uhr „Prolex“. Sie alle unterschätzen Nicolas Hayek. Ein großer Schweizer Uhrenhersteller hat den Unternehmensberater engagiert, weil die Branche am Boden liegt. Mechanische Uhren aus der Schweiz verkaufen sich in etwa so gut wie Kühlschränke in der Arktis. Die Japaner haben den Markt mit ihren billigen Quarz-Uhren erobert. Hayek rät den größten Fabrikanten zur Fusion. Und er glaubt an die billige Plastik-Uhr, die zwei Schweizer Techniker schon Jahre zuvor entwickelt haben.
Als die Banken seinen Glauben nicht teilen, steigt er mit eigenem Kapital ein. Denn er hat eine ganz eigene Philosophie entwickelt. Sie geht davon aus, dass eine Uhr nicht ein Leben lang Einzelstück bleibt, sondern je nach Gemütszustand, Jahreszeit, Stimmung, Umgebung oder Klima austauschbar sein kann.
5000 Modelle
Was Banker und Presse zunächst nicht verstehen, begreifen die Kunden sofort. Ende 1983 sind tatsächlich eine Million der „unmöglichen Uhr“ verkauft. Und am 7. April 1992 läuft das hundertmillionste Exemplar vom Band. Zu dieser Zeit hat das Swatch-Fieber auch Deutschland längst erfasst. Mit seltenen Exemplaren kann man seine Freundin glücklicher machen als mit einer Rolex
Die meisten Swatch-Fans haben damals gleich ein halbes Dutzend in der Schublade liegen.Wo sie oft auch bleiben. Original verpackt und mit herausgenommener Batterie. Angeheizt durch limitierte Sonderauflagen wird die Plastik-Uhr zum Sammelobjekt.
Zweimal im Jahr erscheint eine neue Kollektion. Normale“ Uhren, Scubas Chronos, später auch die extrem flachen Skins. Insgesamt ticken mittlerweile weit über 5000 verschiedene Modelle. Genau deshalb wird sie nach Einschätzung von Experten heute auch nicht mehr gesammelt. Das Angebot ist einfach zu groß. Verkauft aber wird sie immer noch hervorragend.
Wie seine Uhr ist auch Hayek sein ganz Leben ein „etwas anderer” Unternehmer geblieben. Ohne Schlips zum Hemd, aber stets mit mehreren Uhren am Handgelenk. Einer, der sich in der Welt der Stars ebenso sicher bewegte, wie in der seiner Mitarbeiter. Einer, der Visionen zur Realität werden ließ, sich selbst aber nie zu wichtig nahm. „Fahnenträger” hat sich Hayek selbst genannt und für austauschbar gehalten. Nach seinem Tod, hat er mal gesagt, komme einfach jemand anderer „und wird die Fahne weitertragen.“