Kein russischer Menschenrechtler, kein Anführer des Arabischen Frühlings und, nein, auch nicht Helmut Kohl, der seit Jahren im Vorfeld der Preisverleihung genannt wird, erhält den Friedensnobelpreis. Stattdessen dürfen sich gut 500 Millionen Menschen in der Europäischen Union als Preisträger fühlen.
Der Friedensnobelpreis für die EU – eine Verlegenheitslösung des Norwegischen Komitees? Mitnichten! Es ist die überfällige Ehrung für eine Institution, deren Verdienste von den meisten Europäern längst als normal wahrgenommen werden. Doch genau da liegt das Verdienst.
Denn auch wenn die EU hierzulande oft mit einem negativen Touch versehen ist, wenn „die da in Brüssel“ als Verkörperung des Bürokratismus beschimpft werden – die EU steht für ein Europa ohne Krieg, für ein Europa der Versöhnung, für ein Europa ohne Grenzen. Politiker wie Adenauer, de Gasperi und Schuman legten dafür die Grundsteine, in Zeiten, da das gegenseitige Morden und sich Bekriegen noch in frischer, schlimmer Erinnerung war. Männer wie Helmut Schmidt und Giscard d’Estaing führten den europäischen Gedanken weiter. Und nach dem Fall des Eisernen Vorhangs besiegelte auch die umstrittene Aufnahme osteuropäischer Staaten in die bis dahin rein westlich geprägte Union das Ende der Spaltung Europas.
Das Europa der Versöhnung und der Gemeinsamkeiten ist ein Erfolgsmodell, daran ändert auch die aktuelle Krise und die Gemeinschaftswährung Euro nichts. Europa steht für den Willen, Hass und Feindschaft zu verdrängen und durch Annäherung und letztlich Freundschaft zu ersetzen. Europa steht für die Überwindung von Grenzen. Junge Menschen, die in anderen Ländern studieren, Forschung und Lehre über Ländergrenzen hinweg, Arbeitnehmer, die ins Nachbarland pendeln – all dies ist heute europäischer Alltag. Und für all dies steht die Europäische Union. Auch deshalb ist der Friedensnobelpreis für die EU, der auch als Appell verstanden werden darf, all diese Errungenschaften nicht über kleinliches Polit-Geschacher zu vergessen, eine gute, eine hervorragende Entscheidung.