Moskau. . Die Russisch-Orthodoxe Kirche hat den verurteilten Mitgliedern der Punk-Band Pussy Riot nach Angaben zweier ranghoher Würdenträger vergeben. Russische Medien spekulieren über ein milderes Urteil im Berufungsprozess. Nun wird bekannt, dass die Putin-Kritikerinnen eine neue Kreml-Kritik vertont haben.

Die russische Punkband Pussy Riot hat noch vor der Urteilsverkündung gegen drei ihrer Mitglieder am Freitag ein neues Lied gegen Präsident Wladimir Putin veröffentlicht. Ein Mitglied der Gruppe, das der Verhaftung bei der Protestaktion gegen den Staatschef Ende Februar in einer Kirche entkam, spielte das Lied vom Balkon eines Wohnhauses gegenüber dem Gerichtsgebäude, wo das Urteil gegen die drei jungen Frauen verlesen wurde. Dann warf die vermummte Frau CDs mit dem neuen Lied in die Menge. Wenige Stunden später tanzten Anhänger der Gruppe in der Nähe des Gerichtsgebäudes dazu, bevor die Aktion von der Polizei aufgelöst wurde. Etliche Menschen wurden festgenommen.

Nach der internationalen Empörung über die Verurteilung von drei Musikerinnen der Kreml-kritischen Punkband Pussy Riot rechnen Beobachter mit einer Abmilderung der Strafe. Russische Medien und äußerten am Samstag die Erwartung, dass die Strafe von jeweils zwei Jahren Lagerhaft in einem Berufungsverfahren reduziert werden dürfte. Nach der Berufung durch die Verteidiger werde das zuständige Moskauer Gericht vermutlich die Strafe von zwei Jahren Lagerhaft in ein Jahr verwandeln und "diese Idiotinnen freilassen, damit sie ihre Kinder und Angehörigen wiedersehen können", schrieb die Zeitung "Komsomolskaja Prawda" am Samstag.

Denis Dwornikow von der zivilen Kammer, die russische Behörden berät, sagte eine Abmilderung der Strafen im Berufungsprozess voraus. Vermutlich würden die Verurteilten schon einen Monat nach dem Verfahren in die Freiheit entlassen, sagte Dwornikow der Nachrichtenagentur Interfax. Das russische Außenministerium äußerte sich nicht direkt zu dem Urteil. Es veröffentlichte aber am Samstag eine Erklärung, in der die in westlichen Staaten verhängten Strafen für "Rowdytum" an religiösen Orten aufgelistet wurden. Darin hieß es, in Deutschland stünden darauf bis zu drei Jahre Gefängnis.

Russisch-Orthodoxe Kirche hat Pussy Riot "Punk Gebet" vergeben

Präsident Wladimir Putin hatte sich Anfang des Monats gegen ein "zu hartes" Urteil ausgesprochen, zu der Gerichtsentscheidung äußerte er sich bislang nicht. Putin habe nicht das Recht, dem Gericht seine Meinung aufzuzwingen, sagte sein Sprecher Dmitri Peskow der Webseite PublicPost.ru.

Die Russisch-Orthodoxe Kirche hat den verurteilten Mitgliedern der Punk-Band Pussy Riot nach Angaben zweier ranghoher Würdenträger vergeben. Das habe die Kirche bereits unmittelbar nach dem "Punk-Gebet" der drei Sängerinnen getan, sagte der Leiter des Moskauer Sretenski-Klosters, Tichon Schewkunow, am Samstag im Staatsfernsehen. Der Geistliche gilt vielen als geistlicher Ratgeber von Präsident Wladimir Putin.

Der Erzpriester Maxim Koslow pflichtete Schewkunow bei. Gleichzeitig hoffe er jedoch, dass die jungen Frauen und deren Unterstützer "merken, dass ihre Aktionen schrecklich waren", sagte Koslow im Staatsfernsehen. Ungeachtet aller internationalen Proteste hatten die beiden Geistlichen die Strafverfolgung der Pussy-Riot-Mitglieder unterstützt. Die drei Musikerinnen hatten am 21. Februar bei ihrer spektakulären Protestaktion in der Christ-Erlöser-Kirche in einem "Punk-Gebet" die Gottesmutter angerufen, den kurz darauf wieder zum Präsidenten gewählten Putin zu verjagen.

Obama, Merkel, Westerwelle - Kritik an Urteil reißt nicht ab 

Nach dem Urteil von Freitag reißt die weltweite Kritik nicht ab. Das Weiße Haus äußerte sich enttäuscht über die "unverhältnismäßigen Strafen" gegen die drei Mitglieder der Band. Auch die Grünen-Sprecherin für Osteuropapolitik, Marieluise Beck, kritisierte die Haftstrafen für die Punk-Rockerinnen als "unverhältnismäßig". Der frühere Bundesaußenminister Joschka Fischer wertete das Urteil als "Zeichen der Schwäche" der Putin-Regierung.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) erklärte, sie habe den Prozess "mit Besorgnis" verfolgt. Das Urteil von zwei Jahren Straflager stehe "nicht im Einklang mit den europäischen Werten von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, zu denen sich Russland unter anderem als Mitglied des Europarates bekannt hat. Eine lebendige Zivilgesellschaft und politisch aktive Bürger sind eine notwendige Voraussetzung und keine Bedrohung für Russlands Modernisierung", betonte Merkel.

Auch Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) kritisierte die Entscheidung des Gerichts. "Zwei Jahre Haft für politischen Protest und ein Punk-Gebet in einer Kirche - diese Strafe ist zu hart", schrieb Westerwelle in einem Beitrag für die "Bild"-Zeitung. "Viele fragen: Urteilt so ein Rechtsstaat? Ich verstehe alle, die Zweifel haben."

Joschka Fischer: "Urteil ist Zeichen der Schwäche" Russlands

Westerwelle räumte ein, die jungen Musikerinnen hätten mit ihrer provokanten Aktion gewiss religiöse Gefühle verletzt, aber ein starkes Land wie Russland müsse so viel künstlerische Freiheit aushalten. "Es ist zu befürchten, dass von dem Urteil ein negatives Signal für Künstler und Bürger in Russland ausgeht. Es ist leider ein Signal der Einschüchterung", sagte er. Demokratie ohne Freiheit sei jedoch unmöglich.

Ex-Außenminister Fischer sagte der Zeitung "Bild am Sonntag" laut Vorabbericht, das Urteil gegen Pussy Riot sei "ein Zeichen der Schwäche, nicht der Stärke. Unsere Solidarität gehört den russischen Demokraten und auch Pussy Riot."

Beck sagte im RBB-Inforadio am Samstag, mit dem Prozess hätten die russischen Behörden zeigen wollen: "Wir wollen keine Öffentlichkeit, keine Transparenz, keine freiheitlichen Aktionen und auch keine künstlerischen Grenzüberschreitungen."

Ex-Schachweltmeister Kasparow soll Polizist gebissen haben

Vor dem Gebäude des Moskauer Chamowniki-Gerichts, wo das Urteil gegen Pussy Riot bekannt gegeben wurde, hatten am Freitag Hunderte Anhänger der Punk-Rockerinnen gegen den Prozess protestiert. Die Polizei nahm mehrere Dutzend Demonstranten fest, darunter den linken Oppositionsführer Sergej Udalzow und den früheren Schachweltmeister Garri Kasparow. Der Putin-Kritiker Kasparow warf der Polizei vor, ihn geschlagen zu haben. Die Polizei hingegen beschuldigte ihn, einen Beamten in den Finger gebissen zu haben. Nach seiner Freilassung schrieb Kasparow über Twitter, er sei auf dem Weg in die Notaufnahme, "um meine Verletzungen zu untersuchen und zu beweisen, dass ich nicht betrunken bin und niemanden gebissen habe".

Nadjeschda Tolokonnikowa, Maria Alechina und Jekaterina Samuzewitsch von Pussy Riot hatten am 21. Februar bei ihrer spektakulären Protestaktion in der Christ-Erlöser-Kirche in Moskau in einem "Punk-Gebet" die Gottesmutter angerufen, den kurz darauf wieder zum Präsidenten gewählten Putin zu verjagen. Die Angeklagten hätten in der bedeutendsten Kirche Russlands eine rechtswidrige religiöse Handlung ausgeführt, sagte Richterin Marina Syrowa bei der Urteilsverkündung am Freitag. Tatmotiv sei "religiöser Hass" gewesen. (dapd)

Putins Rollenspiele

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