München. Rund 1.700 Personen haben am frühen Samstagmorgen an der neuesten Körperinstallation des US-Künstlers Spencer Tunick im Zentrum der bayerischen Landeshauptstadt teilgenommen. Dafür zogen sich die Freiwilligen, die sich übers Internet anmelden konnten, nackt aus und bemalten sich nach Anweisung des Künstlers mit roter und goldener Körperfarbe.
Für die Nackten des Aktionskünstlers Spencer Tunick sind Teile der Münchner Innenstadt abgesperrt worden. In einem riesigen, von Absperrgittern begrenzten Pferch warten Hunderte Menschen auf ihren großen Auftritt. Manchen ziehen sich gerade aus, andere haben sich schon ihrer Kleider entledigt und stehen nackt bei kühlen elf Grad Celsius im Freien herum.
Auf Einladung der Bayerischen Staatsoper inszeniert der US-Fotograf und Aktionskünstler Tunick am Samstagmorgen mitten in München eine seiner berühmten Körperinstallationen. Seit 1992 sind Massenshootings mit nackten Menschenleibern an öffentlichen Orten seine Spezialität. Manchmal verbindet er auch eine politische Botschaft damit. Als er einmal 5.000 Nackte vor dem berühmten Opernhaus von Sydney drapierte, wollte er für eine freie und gleiche Gesellschaft in Australien werben. Auf dem Schweizer Aletschgletscher ließ der 600 Nackte vor der Erderwärmung warnen.
In München war der Anspruch weniger universal. Seine Installation, für die seit Wochen im Internet nach Freizeit-Nudisten gesucht wurde, ist Teil des Rahmenprogramms zur Neuinszenierung von Richard Wagners Tetralogie "Der Ring des Nibelungen", die am 30. Juni zum Auftakt der Münchner Opernfestspiele 2012 mit der "Götterdämmerung" ihren Abschluss und Höhepunkt findet.
Die Nackten malen sich rot und golden an
Staatsopernintendant Nikolaus Bachler ließ es sich nicht nehmen, das Spektakel selbst zu überwachen. Er habe einmal an einer ähnlichen Kunstaktion teilgenommen, erinnert er sich. An dem legendären "Orgienmysterientheater" des Wiener Aktionskünstlers Herrmann Nitsch, bei dem sich die Mitwirkenden mit Blut beschmieren und in tierischen Eingeweiden wälzen müssen. "Als ich noch jung war", fügt Bachler hinzu.
Der 42 Jahre alter Volker aus München ist mit von der Partie, "weil doch München die Stadt der Nackerten ist". Und weil Tunick allen Mitwirkenden ein Foto des Shootings in limitierter Auflage versprochen habe.
Andere sind von weit hergekommen, um bei Tunicks öffentlich die Hüllen fallen zu lassen. Hilde aus Belgien ist bereits zum siebten Mal dabei, weil sie sich für moderne Kunst interessiert. "Heute ist es allerdings das letzte Mal." Und ein 76-jähriger, ebenfalls in Belgien lebender US-Amerikaner, bringt es schon auf seinen 18. FKK-Einsatz im Dienste der Kunst. Von Tunicks Mannschaft wird er wie ein VIP behandelt. Ein wärmender Bademantel und Badeschlappen liegen immer für ihn bereit.
Erstmals bei einer Tunick-Installation müssen sich die Mitwirkenden mit roter oder goldener Körperfarbe bemalen. Die kollektive Schmiererei auf dem Marstallplatz wird zur Riesengaudi. Zuerst dürfen - unter lautem Gejohle - die Roten abmarschieren zum ersten Schauplatz des ungewöhnlichen Fotoshootings auf der Münchner Ludwigstraße.
Teilnehmer wärmen sich aneinander
Höhepunkt des Shootings ist der große Ring aus goldenen und roten Leibern - 1.700 Menschen sind es nun insgesamt - rund um das Max-Joseph-Denkmal vor der Oper. Mittlerweile ist vielen Mitwirkenden empfindlich kalt geworden. Fast bahnt sich ein kleiner Aufstand gegen Tunick an, der zusammen mit seinem Team die Leiber immer wieder neu justiert. "Ausziehen", rufen die frierenden Menschen.
Nach rund drei Stunden ist alles vorbei. Tunick zeigt sich am Ende zufrieden mit seiner neuesten Arbeit. "Die Stimmung der Teilnehmer war trotz der frischen Morgentemperaturen hervorragend", sagte der New Yorker Künstler. "Wir haben uns wie die Pinguine aneinander gewärmt", sagt die 30 Jahre alte Manuela. "Trotzdem war es super." Stefano, ein 39 Jahre alter in München lebender Mailänder, wird pathetisch, bevor er nach Hause radelt, um sich die Farbe abzuwaschen und aufzuwärmen: "Mir ist bewusst, dass ich in diesem Moment unsterblich geworden bin." (ap)