Dortmund. Waghalsig ist die Idee des Regisseurs Martin Laberenz, den Film „Naked Lunch“ und Georg Büchners Textfragment „Lenz“ als Grundlage für sein Stück „Naked Lenz“ zu nehmen.

. Lange galt William S. Burroughs skandalträchtiger Roman „Naked Lunch“ als unverfilmbar – bis David Cronenberg auf den Kunstgriff kam, Text und Biographie des Autoren zu vereinen. Die Idee des Regisseurs Martin Laberenz, den Film und Georg Büchners Textfragment „Lenz“ als Grundlage für sein Stück „Naked Lenz“ zu nehmen, ist mindestens genauso waghalsig.

Filme als Inspiration für eine Auseinandersetzung mit der gesellschaftlichen Gegenwart liegen Martin Laberenz — seine in Dortmund uraufgeführte Sicht auf den umstrittenen „Visitor Q“ von Takashi Miike wurde zum NRW-Theatertreffen eingeladen. Diesmal hat er sich zwei Werke ausgesucht, in denen ein Schriftsteller zwischen Realität und Illusion versinkt: Büchner erzählt in seinem Fragment von einem realen Dichter, der zunehmend von Irrsinn getrieben wird, „als jage der Wahnsinn auf Rossen hinter ihm“. In „Naked Lunch“ ziehen Rauschzustände den Autoren in eine Welt aus Sex, Gewalt und Spionage – eine Welt, die er selbst aufschreibt.

Eine Handlung sucht man in dem Stück vergeblich. Zwar gibt es zwei Agenten, die einen Autoren suchen, dessen Texte Hirntumore und Halluzinationen auslösen – ein roter Faden ergibt sich daraus nicht. Vielmehr wird man wörtlich in eine wilde Szenencollage geworfen: Das Publikum steht und geht 90 Minuten mit auf der Bühne, hautnah an den Figuren – und wird Teil der Theaterwelt. Eine Situation, die nahe liegt, wenn es um das Verhältnis von Realität und Fiktion in Kunst und Leben geht.

Determinierter als ich glaube

Laberenz hebt die Einheit von Raum und Zeit auf, lässt die Schauspieler mal erdachte Figur, mal reale Person sein, nutzt sowohl Video als auch die Direktheit des Spiels. In allem Textwust aber taucht immer wieder ein Satz auf: „Ich bin determinierter als ich glaube und freier als ich weiß“. Sind Realität und Fiktion wirkliche Gegensätze – oder umgeben wir uns in unserem Leben mit Regeln, um überhaupt eine greifbare Struktur alternativ zu einer erschreckenden Freiheit zu haben? Kann eine Idee die Realität verändern oder geht es doch nur um Geld? Was ist das, dieses Ich – eine reine Fiktion?

Dieser Auflösung setzt Laberenz eine Sehnsucht nach echtem Gefühl in all der Leere entgegen: Die Schauspieler schmieren sich mit Sonnencreme ein, ziehen sich nackt aus, reiben sich an dünnen Birken, als wollten sie in der Natur Halt finden. Exzessiv verausgabt sich das Ensemble, erzeugt ungeheure Unmittelbarkeit und absurden Witz.

Einfach konsumieren geht bei diesem Abend nicht. Gegen einfachen Erkenntnisgewinn wehrt sich die Inszenierung mit Haut und Cuba Libre, Gebrüll und Geschlechtsorganen. Sie ist ein Rausch aus Gedanken und Fragen, der so plötzlich endet, dass es im Kopf weitergehen kann.