Köln. . Jörg Schönenborn ist im Ersten der Herr der Hochrechnungen, normalerweise. Jetzt ist der WDR-Chefredakteur als ARD-Teamchef bei der Europameisterschaft. Im Interview redet er Klartext.

WDR-Chefredakteur Jörg Schönenborn ist der TV-Nation als Herr der Hochrechnungen bekannt. Jetzt ist der gebürtige Solinger als Chef des ARD-Teams bei der Europameisterschaft dabei. Der 46-Jährige ist vom Fach, wie er im Gespräch mit Jürgen Overkott offenbarte.

Sie waren früher Fußball-Schiedsrichter. Hatten Sie beim Relegationsspiel Fortuna Düsseldorf gegen Hertha BSC einen Flashback?

Jörg Schönenborn: Ich habe mich wirklich gefragt, wie ich selbst reagiert hätte – wobei ich sagen muss, dass Schiedsrichter heutzutage durch die vierten Offiziellen eine ganz andere Unterstützung haben als früher. Ich habe sehr großen Respekt vor der Geduld von Wolfgang Stark. Ich hätte nicht gedacht, dass er es schafft, das Spielfeld zu räumen. So, wie er es gemacht hat, ist es der sportlich-faire Weg.

Welche schwierigen Situationen haben Sie selbst überstehen müssen?

Jörg Schönenborn: Ich habe Spiele abbrechen müssen, im Jugendbereich. Es gab damals schon Bereiche, wo es nicht immer fair zuging.

Eltern prügelten sich, erst am Rand, dann auf dem Platz

Erinnern Sie sich an eine konkrete Szene?

Jörg Schönenborn: Es gab ein Jugendspiel in Langenfeld, bei dem die Eltern anfingen, sich zu prügeln, erst am Rand, und dann setzte sich das auf dem Spielfeld fort. Das ist etwas über 20 Jahre her.

Was ging in Ihnen vor, als die Situation eskalierte?

Jörg Schönenborn: Ich habe als Schiedsrichter gelernt, wie wichtig es ist, dass Autorität funktioniert. Die Autorität ist geliehen durch Pfeife und schwarzes Hemd. Ein guter Schiedsrichter reagiert früh. Es ist besser, die Handbremse anzuziehen, bevor die Mauer kommt.

Eltern und Betreuer wussten, der Verband greift durch

Der Gesang „Schiri, wir wissen, wo Dein Auto steht“ ist uralt. Hatten Sie Angst um Ihre Sicherheit?

Jörg Schönenborn: Ich wusste nicht, ob ich heil in die Kabine kommen würde. Ich hatte Angst, ja. Aber es wahr damals hilfreich für die Autorität des Schiedsrichters, dass Eltern und Betreuer wussten: Wenn etwas passiert, greifen die Verbände hart durch.

Die äußere Autorität ist nichts ohne innere Autorität. Sind Sie damals unterstützt worden?

Jörg Schönenborn: Es gab damals sehr gute Lehrgänge, in Duisburg, an der Wedau. Da wurde eine Menge getan, schon deswegen, weil Schiedsrichter schon damals Mangelware waren. Ohne Kompetenz nützt Ihnen die Pfeife nichts. Sie müssen souverän mit den Regeln umgehen und, im doppelten Sinne, auf Ballhöhe sein. Ich habe erlebt, dass der Job sehr fordernd ist.

Haben Sie deshalb aufgehört?

Jörg Schönenborn: Nein, das hatte mit meiner Arbeit für die Zeitung zu tun, ich habe als Sportreporter angefangen, und irgendwann musste ich mich entscheiden.

Erfahrung beim Sport hilft im Beruf

Was hat Ihnen der Sport für Ihren Beruf gebracht?

Jörg Schönenborn: Beim Sport trifft man immer auf einen Querschnitt der Gesellschaft. Der Freundeskreis, der sich aus Studium und Beruf ergibt, besteht doch eher aus Menschen, die einen ähnlichen Hintergrund haben wie man selbst. Das Bild, dass alle dabei sind, ist auch hilfreich, wenn man sich sein Publikum bei einer Zeitung oder beim Fernsehen vorstellt.

Sport und Politik sind nicht so weit voneinander entfernt, wie mancher glauben möchte. Was kann die EM in der Ukraine bewirken?

Jörg Schönenborn: Wir erleben da gerade eine sehr spannende Phase. Die Mauer zwischen Sport und Politik, die bei der WM in Argentinien und bei den Olympischen Spielen in Moskau bestand, ist eingerissen. Wir haben am Beispiel von (der Oppositionspolitikerin) Julia Timotschenko erlebt, dass man beides nicht mehr trennen kann, gerade in Zeiten heutiger Kommunikationsmittel. Es ist wohltuend, dass sich (DFB-Chef) Wolfgang Niersbach, (sein Vorgänger) Theo Zwanziger und (Nationalelf-Kapitän) Philipp Lahm in einer Art zu Menschenrechtsfragen geäußert haben. Das heißt nicht, dass man in der Ukraine nicht spielen kann. Aber Diktatoren und Autokraten können nicht mehr die Rechnung aufmachen, ich kaufe mir ein Turnier – und damit ein gutes Image.

Internationales Publikum unterscheidet sich von Liga-Fans

Es reicht nicht mehr, es nur in den Beinen zu haben.

Jörg Schönenborn: Es müssen sich nicht alle äußern. Es reicht, wenn sich, beispielsweise, der Kapitän pointiert äußert. Da wäre auch jemand wie (Uefa-Präsident) Michel Platini gut beraten, wenn er so etwas nicht kurzerhand zurückweist.

Glauben Sie, dass es bei der EM Fan-Unruhen geben kann?

Jörg Schönenborn: Nach allem, was ich weiß, werden die Behörden die Sicherheit im Griff haben, zumal das internationale Publikum anders ist als das Publikum, das etwa polnische Liga-Spiele besucht. Die EM-Fans wollen eher ein Fußball-Fest.

Auch Fans in der Bundesliga haben in der letzten Zeit verstärkt versucht zu zündeln.

Jörg Schönenborn: Die Bengalos sind ein Symbol. Es ist eine sichtbare Form von Randale. Wir können uns nicht den ersten Schwerverletzten oder den ersten Toten erlauben. Die Vereine müssen stärker kontrollieren. Es geht nicht ohne klare Strafen. Es müssen Grenzen gesetzt werden.