Nürnberg. . Der Inzestfall von Willmersbach wird vor dem Nürnberger Gericht verhandelt. Adolf B. ist angeklagt, seine eigene Tochter fast 500 Mal vergewaltigt zu haben. Doch dieser streitet alle Vorwürfe ab, der Geschlechtsverkehr sei einvernehmlich gewesen.
Im Rollstuhl wird Adolf B. in den Gerichtssaal geschoben. Den Fuß hat er sich im Gefängnis gebrochen, auch sonst geht es ihm nicht gut. Seit 1995 ist der 69-Jährige Rentner. Damals hat seine Tochter Renate, so sagt sie selbst, ihm heimlich Schlafmittel verabreicht, weil sie ihn von sich fernhalten wollte. B. stürzte, brach sich den Schädel, wurde Frührentner. Renate habe an jenem Tag nur deshalb nicht gewollt, weil er „besoffen“ gewesen sei, sagt B. Dass seiner Tochter ihm das Schlafmittel gegeben hat, weil seine Annäherungen für sie nicht freiwilliger Sex, sondern Vergewaltigungen waren, will B. nicht glauben - so, wie ihm viele unangenehme Wahrheiten offenbar nicht passen.
Es ist ein unfassbarer Fall, der seit Montag vor dem Landgericht Nürnberg-Fürth verhandelt wird und der sich mitten in dem fränkischen Dorf Willmersbach mit gerade mal etwas mehr als 300 Einwohnern abgespielt hat. In Willmersbach soll sich der Angeklagte seit ihrem zwölften Lebensjahr über seine Tochter hergemacht haben, 34 Jahre lang. Gesichert ist, dass diese drei Söhne vom Vater bekam - zwei starben kurz nach der Geburt, der lebende Sohn ist behindert. Im Ort wollen viele schon lange etwas geahnt haben. Doch niemand ging zur Polizei. So endeten die Übergriffe erst, als die Tochter selbst straffällig wurde und sich ihrer Bewährungshelferin anvertraute. Im März kam ihr Vater ins Gefängnis.
Angeklagter bestreitet Vergewaltigungsvorwürfe
In der Anklage vor dem Landgericht Nürnberg-Fürth ist von knapp 500 Vergewaltigungen die Rede. Im Elternbett, im Schlafzimmer der Tochter und auf dem Rücksitz ihres Autos sollen Adolf B. ihr Gewalt angetan haben. B. soll im Auto sein Messer genommen und seine Tochter damit bedroht haben, bevor er gewaltsam in sie eindrang. Er soll die heute 46-Jährige immer wieder zum Analverkehr gezwungen haben. Schläge, Haareziehen und anderes gehörten für ihn dazu.
Doch der Angeklagte will nichts von den Vorwürfen wissen. Geschlechtsverkehr gab es, das gibt er zu. Das erste Mal aber nicht mit zwölf, sondern 1982 - da war seine Tochter 17 Jahre alt. Von Zwang könne keine Rede sein. Er habe sich ausgezogen, sie habe sich ausgezogen. „Da hat sie selber mitgemacht.“ Und danach hätten sie dann beide Fernsehen geschaut. Später dann sei sie es gewesen, die mit ihm mit dem Auto in den Wald fahren und dort Sex haben wollte.
Schon die Schilderung des angeblich ersten von unzähligen Fällen - von zwei Mal Sex pro Woche spricht B. selbst - läßt Zweifel aufkommen, dass der Mann die Wahrheit sagt. Wo denn seine Frau gewesen sei und der Rest der Familie?, fragt die Staatsanwältin. Darauf hat B. keine Antwort, außer, dass sie weg gewesen seien. Weil seine Frau keinen Führerschein hat, es im Ort keine Wirtschaft zum Ausgehen gibt und die Familie isoliert war, wird B. nicht geglaubt.
Späte Erlösung für das Opfer
Es fällt schwer, vom Angeklagten klare Aussagen zu bekommen. Denn ein Problem des Falls ist die geringe Intelligenz aller Beteiligten. Der Vater ist Analphabet, er war früher Hilfsarbeiter. Die mangelnde Intelligenz der Tochter soll ein wesentlicher Grund gewesen sein, weshalb sie in all den Jahren keine Möglichkeit fand, sich von ihrem autoritären Vater zu lösen. Doch Richter Günther Heydner scheint ihr zu glauben. Er will im Falle einer Verurteilung auch die verjährten Vergewaltigungen verschärfend berücksichtigen. Außerdem brachte er eine Sicherungsverwahrung des Angeklagten ins Spiel.
Für Renate B. könnte eine Verurteilung so zu einer späten Erlösung werden. Sie ist mit 46 Jahren zu Hause ausgezogen. Auch ihre Mutter, die bei einigen Vergewaltigungen mit im Bett gelegen haben soll, ließ sie so hinter sich. Und auch das Dorf, in dem ihr niemand half. Um endgültig von ihrem Vater Ruhe zu haben, muss sie bei ihrer Zeugenaussage glaubwürdig wirken. Vom Prozessauftakt her wird das Gericht ihr wohl Glauben schenken - und nicht dem perversen Bild des Adolf B. von einer ihm willigen Tochter. (AFP)