Berlin. .
Vor 20 Jahren konnten sich mehr Frauen und Männer an sexuellen Missbrauch in ihrer Kindheit erinnern als heute. Doch auch heute geben immer noch 6,4 Prozent der Frauen an, als junges Mädchen missbraucht worden zu sein. Das zeigt eine Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachen.
Sexueller Missbrauch von Kindern ist in den vergangenen 20 Jahren in Deutschland stark zurückgegangen. Während 1992 noch 8,6 Prozent der Frauen und 2,8 Prozent der Männer sich an „mindestens eine Körpererfahrung“ in Form von sexuellem Missbrauch während ihrer Kindheit erinnert hätten, seien es nun noch 6,4 Prozent der Frauen und 1,3 Prozent der Männer gewesen, sagt Christian Pfeiffer, Leiter des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (KFN), das die Studie im Auftrag des Bundesbildungsministeriums durchgeführt hat.
Für die Studie wurden im Frühjahr dieses Jahres rund 11.500 Menschen im Alter von 16 bis 40 Jahren anonym befragt. Die letzte Untersuchung hatte 1992 mit 3300 Teilnehmern stattgefunden. Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) hatte die neue Studie im Rahmen des Runden Tischs zum Kindesmissbrauch in Auftrag gegeben. Insgesamt 683 der Befragten berichteten darin, mindestens einmal Opfer von sexuellem Missbrauch geworden zu sein. Das abgefragte Spektrum reichte von Exhibitionismus, über sexuelle Übergriffe und Vergewaltigung bis zum erzwungenen Anschauen von Pornografie.
Weniger Missbrauch innerhalb der Familie
Laut Pfeiffer ist der Missbrauch vor allem in den Familien zurückgegangen. „Das Risiko von Missbrauch außerhalb der Familie, also der Täter hinterm Busch, ist gleich geblieben“, sagte er. Mittlerweile würden aber etwa 30 Prozent der Kinder gewaltfrei erzogen, was das Selbstbewusstsein der Kinder stärke und damit Missbrauch verhindere. Auch zeigten Opfer den Missbrauch weitaus häufiger an, was die Täter abschrecke. Es gebe neue Gesetze, die es der Polizei erleichterten einzugreifen, und ein verändertes Bewusstsein in der Gesellschaft für die Opfer von Missbrauch.
Zwei Ergebnisse überraschten die Forscher: Von den 683 Opfern berichtete nur eines von einem Übergriff durch einen katholischen Priester. „Einen Rückgang des Missbrauchs unter katholischen Priestern hat bereits eine Studie in den USA festgestellt“, berichtete Pfeiffer. In den USA werde er darauf zurückgeführt, dass es für Priester heute leichter sei, trotz des Zölibats einen erwachsenen weiblichen oder männlichen Partner zu finden. „Pädophile Täter waren immer eine Minderheit. Meistens handelte es sich um Ersatzhandlungstäter.“
Türkische Familien schützen ihre Töchter
Weiterhin lag der Prozentsatz missbrauchter türkischer Mädchen deutlich niedriger als bei deutschen oder russlanddeutschen Mädchen (1,7 Prozent im Vergleich zu 7,2 Prozent). Diese Differenz ergebe sich dadurch, dass die Mädchen stärker vor sexuellen Übergriffen außerhalb der Familie geschützt würden, sagte Pfeiffer.
Während innerhalb der Familie die Situation vergleichbar mit der in deutschen oder russlanddeutschen Familien sei, würden türkische Väter und Brüder besser darauf achten, dass außerhalb nichts passiert. „Das Ideal, jungfräulich in die Ehe zu gehen, motiviert offenbar, die Mädchen zu schützen“, sagte Pfeiffer. (afp)