Essen. . Das DDR-Regime verbat die Episode, die am Donnerstag endlich ausgestrahlt wird. Der „Tatort“ des Ostens ist zu seinem 40. Geburtstag längst auch im Westen ein Klassiker. Nach dem Krimi blickt der MDR zurück auf düstere DDR-Tage.
Tatort DDR. Ende der 60er-Jahre schockiert eine Mordserie an drei Jungen die Region um Eberswalde, Brandenburg. Als die Polizei den minderjährigen Mitropa-Lehrling Erwin Hagedorn als Mörder überführt, zeigt sie die schockierenden Filme ihrer Ermittlungsarbeit den Drehbuchautoren des „Polizeiruf 110“. Die Autoren Dorothea Kleine und Heinz Siebert sollten den Fall zwar nicht kopieren, die brutalen Verbrechen aber zum Anlass nehmen, um im beliebten „Polizeiruf“ über grausame Sexualstraftaten aufzuklären.
Das taten sie auch. Mit nur einem misshandelten Jungen und einem älteren Täter entwickelten sie das Buch unter dem Arbeits-Titel „Am hellerlichten Tag“. Zunächst lief auch alles planmäßig. Das Ministerium des Inneren (MdI) unterstützte die Filmcrew auf bewährte Art: Bei Massenszenen wurden Mitarbeiter der Staatspolizei eingesetzt, neue Polizei-Errungenschaften wie moderne Hubschrauber sollten der Bevölkerung propagandamäßig die Schlagkraft des Regimes gegen das Böse verdeutlichen. Doch kurz vor Ende der Dreharbeiten kippte die Stimmung. Das Material wurde beschlagnahmt, die Ausstrahlung verboten. Eine Begründung: Fehlanzeige.
Ausflug in die Geschichte
Erst 2009 wurden Rohmaterial und Drehbuch wieder entdeckt. Der MDR ließ den „Polizeiruf 110“ unter dem Titel „Im Alter von …“ rekonstruieren und strahlt ihn am 40. Geburtstag der Antwort des DDR-Fernsehens auf den westdeutschen „Tatort“ am Donnerstag um 20.15 Uhr aus. Es ist ein beeindruckender Ausflug in die Geschichte des großen „Tatort“-Rivalen, aber auch ein Teil Filmgeschichte der früheren DDR.
Im Anschluss wird „Die Erfolgsstory“ des unverwüstlichen Ost-Krimis (MDR, 21.25 Uhr) beleuchtet. Darin geht’s nicht nur um den gesellschaftlichen Auftrag einer Polizeiserie im real existieren Sozialismus, sondern Autor Heinz Seibert liefert auch die ersehnte Erklärung für den medialen Mord an seinem Stoff.
Widerrechtlich zum Tode verurteilt
Weil ein West-Journalist 1974 herausfand, dass das Honecker-Regime den minderjährigen Täter widerrechtlich zum Tode verurteilt und umgebracht hatte, fürchtete die SED-Führung damals einen internationalen Skandal. Und so musste alles, was an den Fall erinnert, und sei es nur ein fiktionaler Krimi, mundtot gemacht werden.
Die Reihe hat bekanntlich den Fall der Mauer überlebt. Sie etablierte sich neben dem „Tatort“ auf dem angesehensten Sendeplatz des deutschen Fernsehens, Sonntag, 20.15 Uhr, hat es in vier Jahrzehnten auf 320 Folgen gebracht und sich mit dem Ermittlerpaar Matthias Brandt und Anna Maria Sturm (BR) nicht nur produktionstechnisch nach Westen gemacht. Der „Polizeiruf 110“ gilt gelegentlich als betulich. Ermittler wie Charly Hübner und Anneke Kim Surau (NDR) brachten allerdings frischen Wind in die Reihe.
Mord ohne Leiche
Zur „Geburtstagsfeier“ im Ersten, Sonntag, 20.15 Uhr, betritt mit Hauptkommissarin Olga Lenski (Maria Simon) eine neue Potsdamer Ermittlerin den Tatort. Frisch, frech, jung kommt sie daher und muss sich als Krauses (Horst Krause) neue Chefin durchsetzen. Auf der Suche nach der „verlorenen Tochter“ (Titel) spielt sie eine eher unkonventionelle Rolle: Sie ermittelt in einem Krimi – soviel sei verraten – ohne Leiche. Der Geschichte von Bernd Böhlich tut es keinen Abbruch. Die Erfolgsgeschichte, die am 27. Juni 1971 begann, geht weiter.