London. . Hufe und Hüte locken Jahr für Jahr die Reichen und Schönen zum Pferderennen nach Ascot. Doch ausgerechnet im 300. Jubiläumsjahr drohen Alkoholexzesse und Schlägereien das Image des Traditions-Turniers zu ruinieren.

Ascot galt stets als Krönung des englischen Sommers, als einziger Ort der Welt, an dem man einen Obstkorb auf dem Kopf tragen kann, ohne aufzufallen. Hufe und Hüte locken Royals, Models, Ölscheichs und Finanzadelige auch weiter jeden Juni nach Windsor. Doch Alkoholexzesse und Schlägereien ruinieren allmählich den feinen Flair. Ausgerechnet im 300. Jubiläumsjahr kämpft Ascot um sein Image.

Ist man auf die königliche Tribüne eingeladen? Hat man einen Hut? Diese zwei Fragen bewegen im Frühling jeden Engländer von Rang. Ascot ist schließlich nicht irgendein Pferderennen, sondern der Ort, an dem sich die Oberschicht zelebriert. Die edlen Vollblüter, die kunstvoll behüteten Damen, die Queen, die in einem offenen Landauer jeden Renntag eröffnet - diese Bilder gehören zum Ritual. Doch Pressefotos von Prügelszenen überschatten seit gestern das gediegene Miteinander: Herren im edlen Zwirn drohen einander da mit Rosé-Champagner-Flaschen von Laurent Perrier, Fäuste fliegen, Zylinder purzeln und schließlich fließt noch Blut. Wird aus Ascot Chavscot, eine Pöbelparty, fragen sich die Briten erschrocken.

Der Hut ist Pflicht, keine Option

Europas exklusivstes Pferderennen kämpft schon länger gegen den Verfall der Sitten. Vor drei Jahren sah sich der Herzog von Devonshire, Vertreter der Queen in organisatorischen Belangen rund um das Spektakel, genötigt, eine Kleiderordnung auszubuchstabieren. Die Damen mögen bitte Unterhosen tragen, hieß es darin, Kleider sollen knielang sein, Hut ist Pflicht und keineswegs nur eine Option. „Doch die Kenntnis, was unter formaler Kleidung zu verstehen ist, schwindet“, musste die Modepolizei von Ascot nüchtern feststellen – und legte dieses Jahr nach mit einer kleinen, philosophischen Stilfibel. „Glamour“, heißt es darin, „bedeutet, den Eindruck zu erwecken, man führe ein beneidenswertes Leben.“ Das „schönste und billigste Accessoire“ sei immer noch ein Lächeln, auf Sprüh-Bräune in Orange mögen die Ladies doch bitte verzichten. Genutzt hat es nichts.

Anwohner in Windsor schimpfen seit Jahren, dass sie besonders am Ladies’ Day, jenem Donnerstag im Juni, an dem Frauen die verrücktesten Hüte tragen dürfen, ihr Haus nicht mehr verlassen mögen: Tourbusse und Horden betrunkener Damen machten schon frühmorgens die idyllische Heidelandschaft unsicher.

Alkohol ist selbst auf der königlichen Tribüne ein Problem

Alkohol ist selbst auf der königlichen Tribüne, zu der nur Privilegierte Zutritt haben, ein Problem: Am Nachmittag kippt manche Wohlbehütete vom Stuhl und aus den Schuhen, die hohen Absätze schlammverkrustet, das formale Tageskleid derangiert. Im bürgerlichen Sektor beschweren sich Gäste über Frauen, die im Freien urinieren oder sich um freie Klos zoffen. Dabei hatte ein Poet den Ladies’ Day 1823 als den Tag beschrieben, an dem „die Frauen, engelsgleich, in göttlicher Lieblichkeit erstrahlen.“

Nur die Traditionsbewussten halten noch an diesen alten Zeiten fest. Man findet sie auf Parkplatz 1 und 2, wo sie den von Generation zu Generation vererbten Stellplatz verteidigen - mit teuren, polierten Oldtimern und einem Butler, der einen Campingtisch samt silbernem Kerzenleuchter aufstellt und für die Herrschaften standesgemäß auftafelt. Da sitzen sie dann stoisch, im Nerz, mit Juwelen, als seien sie aus jener fernen Zeit angespült worden, als man noch mit Proviantkutschen voller Wein und Zigarren nach Ascot fuhr. (we)