Essen. . Sonnenstürme gibt es regelmäßig. Treffen sie allerdings die Erde, sind Telekommunikation und Stromnetze weltweit gefährdet. Doch was so bedrohlich klingt, könnte sich möglicherweise als laues Lüftchen entpuppen.
Es klingt dramatisch: Eine gewaltige Eruption hat die Sonnenoberfläche erschüttert, meldete die Raumfahrtbehörde Nasa am Mittwoch und prophezeite Auswirkungen auf GPS, Telekommunikation oder Stromnetze. Als Sonnensturm bezeichnet der Volksmund solche Ereignisse. Doch was so bedrohlich klingt, könnte sich möglicherweise als laues Lüftchen entpuppen.
Denn: Den Flugverkehr wird der Sonnensturm vorerst nicht aus dem Takt bringen. Allerdings sind Routenänderungen denkbar. Jörg Handwerg (43) ist Sprecher der Vereinigung Cockpit und selbst Pilot: „Polarflüge müssten weiter südlich durchgeführt werden. Das hat aber nichts mit der Navigation, sondern mit dem Funkverkehr zu tun. Dort wird auf Kurzwelle gefunkt, der Kontakt kann durch einen Sonnensturm durchaus beeinträchtigt werden. Über dem Polargebiet aber ist ein kontinuierlicher Funkkontakt vorgeschrieben. Deshalb das Ausweichen nach Süden.“
Nicht nur GPS-Navigation
Auch die GPS-Geräte an Bord könnten gestört werden. „Aber Flugzeuge verfügen immer noch über klassische Möglichkeiten, die Position zu bestimmen. Die Trägheitsnavigation gehört dazu. Und die wird durch einen Sonnensturm nicht beeinträchtigt.“
Mehr Sorgen macht sich Jörg Handwerg um eine ganz andere Belastung der fliegenden Kollegen. „Die Gamma-Strahlung ist in solcher Situation schon erhöht. Kein Grund zur Sorge für die Passagiere, aber das fliegende Personal ist ständig einer gewissen radioaktiven Belastung ausgesetzt.“ Piloten haben dann nur eine Möglichkeit. „Sie können etwas tiefer fliegen, dann mindert die zunehmende Atmosphäre die Strahlung.“
Auch Michael Danielidis, Sprecher des deutschen Luft- und Raumfahrtzentrums, schätzt die Gefahr als eher gering ein: „Es ist wohl so, dass der Sonnensturm zu heiß gehandelt wird.“ Grundsätzlich ist zwar korrekt, dass Sonnenstürme empfindliche Systeme stören können, allerdings sei der aktuelle Sturm vergleichsweise klein. Danielidis: „Es ist fraglich, ob wir davon überhaupt etwas mitbekommen.“
Warnung vor Panikmache
Vor einer „Panikmache“ gar warnt Telekom-Sprecher Dirk Wende: „Beim letzten Sonnensturm 2006 ist überhaupt nichts passiert.“ Man müsse jetzt abwarten, was in den nächsten Tagen geschieht.
Doch wie entstehen solche Phänomene überhaupt? Die Magnetfelder der Sonne sind kontinuierlich in Bewegung. Treffen sie in bestimmter Anordnung aufeinander, entsteht eine Art gigantischer Kurzschluss. Dabei wird Plasma in den Weltraum hinausgeschleudert, der sogenannte koronale Massenauswurf (CME). Stimmt die Richtung, erreicht die Wolke aus elek-trisch geladenen Teilchen – meist Protonen und Elektronen – in zwei bis vier Tagen die Erde. Die Wolke misst bis zu 20 Millionen Kilometer, wiegt durchschnittlich 1,6 Milliarden Tonnen und hüllt die Erde für einige Stunden oder wenige Tage ein. Dabei wechselwirken das Magnetfeld der Plasmawolke und das der Erde – es kommt zu Störungen.
„Zunächst lädt der Sonnensturm die Satelliten im Orbit um die Erde elektrisch auf“, beschreibt Frank Jansen vom Deutschen Institut für Luft- und Raumfahrttechnik in Bremen. Weil sich die Satelliten im Weltraum nicht entladen können, nehmen die elektronischen Bauteile Schaden. Handykommunikation und Navigationssysteme sind gestört oder fallen ganz aus. Ernst würde das beispielsweise in Alaska: Dort benötigen Räumfahrzeuge das Satellitensignal, um zu wissen, wo überhaupt die Straße verläuft, die sie vom Schnee befreien sollen. In der Öffentlichkeit weitgehend unbekannt ist zudem, dass das Signal der GPS-Satelliten auch dazu dient, hochpräzise die Zeit zu bestimmen. Das ist wichtig für Finanztransaktionen oder Kommunikationsdienstleistungen.
Gleichstrom statt Wechselstrom
Das größte Problem entsteht, wenn der Sonnensturm die Erdoberfläche erreicht. Irgendwann in der Schule lernt man in Physik, dass in einem elektrischen Leiter ein Strom fließt, wenn man diesen durch ein Magnetfeld bewegt – oder eben das Magnetfeld um den Leiter herum bewegt, wie es mit Überlandleitungen bei einem Sonnensturm geschieht. „Statt des Wechselstroms legt sich auf die Leitungen ein starker Gleichstrom“, erklärt Jansen. „Die Transformatoren am Ende der Leitungen können damit nicht umgehen und brennen ab.“ Im Extremfall – wenn es so heftig ausfällt wie zuletzt 1859 – könnte die Stromversorgung der Erde für Jahre zerstört werden.
Der gleiche elektromagnetische Effekt betrifft auch Pipelines. Dort liegt normalerweise eine geringe Spannung an, die die Leitungen vor Korrosion schützen soll. Sonnenstürme stören diese Spannung und verstärken das Risiko eines Lecks an vorhandenen Schwachstellen.
Wie häufig und mit welcher Stärke Sonnenstürme auftreten hängt mit dem elf Jahre durchmessenden Sonnenzyklus zusammen. Den Höhepunkt erwarten Experten in den nächsten zwei Jahren.