Paris. . Der deutsche Arzt Dr. Dieter Krombach (75) wird in Paris angeklagt: Er soll seine Stieftochter 1982 ermordet haben. In Deutschland galt er als unschuldig. Das Schwurgericht rollt den Fall am nächsten Dienstag neu auf.
Es ist der Morgen des 10. Juli 1982, als Kalinka völlig überraschend tot in ihrem Bett aufgefunden wird. Noch am Tag zuvor ist die 14-Jährige im Bodensee geschwommen. Der französische Teenager war nach Lindau gekommen, weil sich seine geschiedene Mutter hier wieder verheiratet hat.
Die genauen Umstände, unter denen das Mädchen gestorben ist, sind bis heute rätselhaft geblieben. Die Causa Kalinka – sie hat Justizgeschichte geschrieben. Nun wird ein weiteres Kapitel in diesem spektakulären Kriminalfall aufgeschlagen. Ein Pariser Schwurgericht rollt den Fall am nächsten Dienstag neu auf.
Auf der Anklagebank sitzt Dr. Dieter Krombach, ein 75 Jahre alter Arzt vom Bodensee. Die französische Justiz wirft dem Internisten vor, seine Stieftochter getötet zu haben. Eine Anschuldigung, die der Angeklagte bestreitet. André Bamberski (73) hingegen, der leibliche Vater, sieht sich am Ziel. Für den Mann aus Toulouse steht fest, dass Krombach Kalinka in jener Nacht mit einer todbringenden Spritze betäubt und sich an dem wehrlosen Mädchen vergangen hat.
Während die deutsche Justiz das Ermittlungsverfahren 1987 einstellt, verurteilt ihn ein Pariser Gericht 1995 in Abwesenheit zu 15 Jahren Haft: wegen Körperverletzung mit Todesfolge. Der von Frankreich erlassene Haftbefehl kann nicht vollstreckt werden, weil Deutschland es ablehnt, einen unschuldigen Staatsbürger auszuliefern.
Seit jenem Herbsttag 2009, an dem André Bamberski das Recht in die eigene Hand nimmt und Krombach ins französische Mulhouse entführen lässt, genießt er in Frankreich den Ruf eines Volkshelden. Das Knie zertrümmert, Nase und Schädelknochen gebrochen, werfen die Entführer den Geknebelten nahe dem Gerichtsgebäude auf die Straße. Bamberski, der Auftraggeber, genießt diesen Selbstjustiz-Coup. Am nächsten Morgen ruft er die Polizei an, die Krombach wie ein abholbereites Geschenkpaket vorfindet.
19 Einstiche am Herzen
Krombachs Anwälte werfen der französischen Justiz vor, ein illegales Verfahren zu betreiben, weil sie von einer rechtswidrigen Aktion profitiere. „Dieter Krombach ist unschuldig, der Prozess in Frankreich ist null und nichtig“, sagt der Pariser Strafverteidiger Yves Levano. Die Anklage im neuen Pariser Schwurgerichtsprozess lautet auf Mord. Doch die Beweislage ist kompliziert, auch weil die Rechtsmediziner in Memmingen bei der Autopsie sehr lückenhaft obduziert haben.
Krombach behauptet, Kalinka sei an den Folgen eines Sonnenstichs gestorben. Den Einstich, den sie in ihrem Oberarm finden, erklärt der Internist so: Kalinka habe von ihm am Abend zuvor ein Eisenpräparat gespritzt bekommen. Aber warum ist auch der Herzbereich mit 19 Einstichen übersät? Nun, Krombach rechtfertigt diese damit, dass er das Mädchen am Morgen in einem bedenklichen Zustand aufgefunden und es mit Spritzen ins Leben habe zurückholen wollen.
Wären sie bei der Obduktion damals gewissenhaft vorgegangen, hätten sie auch die Scheide der Toten auf eventuelle Spermaspuren untersuchen müssen. Renommierte Gerichtsmediziner schütteln heute über so viel Oberflächlichkeit den Kopf. Doch es gibt noch weitere Ungereimtheiten, etwa die Blutspuren in Kalinkas Slip und Verletzungen im Genitalbereich. Letztere seien erst nach ihrem Tod entstanden. Für Bamberski stützen sie seine Vergewaltigungstheorie. Als Kalinka exhumiert wird, fehlen jedoch die Genitalien.
Dieter Krombach ist ein angesehener, beliebter und erfolgreicher Arzt. Doch 1997 wendet sich das Blatt. Eine 16-jährige Gymnasiastin zeigt ihn an, weil er sie in seiner Praxis betäubt und vergewaltigt habe. Das Landgericht Kempten verurteilt den Arzt wegen sexuellen Missbrauchs.