Washington. . Ein schrecklicher Justizirrtum bewegt Amerika. 27 Jahre saß Thomas Haynesworth allem Anschein nach unschuldig im Gefängnis. Eine Zeugin hatte in ihm einen Vergewaltiger erkannt.
„Ich warte darauf, dass er nach Hause kommt“, sagt Delores Haynesworth (67). Vor 27 Jahren hatte sie ihren Sohn Thomas losgeschickt, um im Lebensmittelladen ein paar Blocks entfernt Süßkartoffeln und ein Brot für das Sonntagsessen zu kaufen. Der Botengang des Jüngsten ihrer fünf Kinder endete damals in der U-Haft. Von der Straße weg hatte die Polizei Thomas verhaftet, nachdem eine Zeugin ihn als ihren Vergewaltiger erkannt haben wollte. Dass Thomas, der keine Vorstrafen hatte, vor der Polizei und später vor Gericht verzweifelt seine Unschuld beteuerte, nutzte ihm wenig.
Ein Jahr später verurteilte ihn ein Richter im Bundesstaat Virginia nach dem Schuldspruch der Jury zu 74 Jahren wegen vierfacher Vergewaltigung und anderer sexueller Übergriffe. Inzwischen unterstützt selbst der Ankläger des Gerichtsbezirks von Richmond Haynesworths Freilassung. An seiner Schuld gebe es „tonnenweise Zweifel“. Keine Jury würde ihn heute auf der Basis dessen verurteilen, „was wir inzwischen wissen“, sagte Michael Herring. „Ich hoffe, dass alles gut endet.“
Mehrere Falschurteile
Dass Thomas, der mehr Jahre im Gefängnis als in Freiheit verbracht hat, sich nun Hoffnungen auf Entlassung machen kann, hat er einer Entscheidung der Staatsregierung von Virginia zu verdanken. Nach mehreren Falschurteilen in Vergewaltigungsverfahren hatte Gouverneur Mark Warner 2005 sämtliche Altfälle zwischen 1973 und 1988 noch einmal überprüfen lassen.
Beim Abgleich der DNA-Spuren, die die Polizei nach den Vergewaltigungen gesichert hatte, stellte sich heraus, dass in zwei der vier Fälle nicht Thomas, sondern ein früherer Nachbar der Täter war.
Er ist nicht nachtragend
Leon Davis, ein Serien-Vergewaltiger, der sich selbst „Black Ninja“ nannte und Thomas auf den ersten Blick durchaus ähnlich sah, war 1985 zu mehrfach lebenslänglich verurteilt worden. Eine Zeugin, die den schwarzen Teenager damals vor Gericht beschuldigte, räumte angesichts der erdrückenden neuen Faktenlage inzwischen ein, sich bei der damaligen Gegenüberstellung geirrt zu haben. „Wir können die Vergangenheit nicht auslöschen, aber aus diesen Fehlern lernen“, meinte die heute 47-jährige Frau weißer Hautfarbe. Es zeugt von Größe, dass Thomas ihr trotz der Jahrzehnte in Haft offenkundig nichts nachträgt. „Es war ein Fehler. Aber angesichts dessen, was die Opfer durchgemacht hatten, konnten Fehler passieren.“
Längst sind auch die Zweifel mächtig gewachsen, dass Thomas auch in den anderen beiden Fällen der Täter war. Zwar fehlen DNA-Spuren, die eindeutige Klarheit schaffen könnten. Aber zwei Tests mit dem Lügendetektor hat Thomas mit Bravour bestanden. Seine Unterstützer sind davon überzeugt, dass Davis auch in diesen Fällen der Täter war. „Ich hoffe, Thomas wird entlassen“, sagte auch der Staatsanwalt des Gerichtsbezirks, in dem sich die anderen beiden, derzeit noch offenen Fälle ereigneten.
Virginias Oberster Gerichtshof hat es nun in der Hand, den inzwischen 45-Jährigen in die Freiheit zu entlassen. Haynesworths Anwälte aus Washington und das Unterstützerkomitee, das seit Jahren für seine Freilassung trommelt, haben in dieser Woche ein Gnadengesuch eingereicht. Das Gericht hält sich bedeckt, wie es entscheiden will.