Rostock. Sie wollten nach Tallin und St. Petersburg. Doch die Urlauber auf der Aidaluna blieben im Hafen von Warnemünde liegen. Das neue, größte Schiff der Aida-Flotte konnte bei starkem Wind nicht auslaufen. Höhere Gewalt? Eine Frage der Bauart? Die Passagiere jedenfalls wollen ihr Geld zurück.
Das Geschäftsmodell ist eine riesige Erfolgsgeschichte. Aber jetzt könnte den Rostocker Seereisen-Veranstalter Aida Cruises sein Hang zum Gigantismus teuer zu stehen kommen. Wird doch die gerade beendete Ostsee-Kreuzfahrt ein juristisches Nachspiel haben. Viele Passagiere fordern Schadensersatz, weil die geplante Reiseroute gewissermaßen vom Winde verweht worden war.
Dem Sturmtief Martin, das am 11. Juni über die Ostsee zog und die Ausfahrt der Aidaluna, dem jüngsten Kind der Aida-Familie, aus Warnemünde zwei Tage lange verhinderte, war schnell ein Sturm der Entrüstung unter den Reisenenden gefolgt. Denn schnell wurde klar, dass nicht das Ausmaß des Sturms das Hauptproblem war. Vielmehr verhinderten die gewaltigen Dimensionen des 252 Meter langen Schiffes das Auslaufen aus der schmalen Hafenausfahrt in Warnemünde.
Während mit der "Seabourn Pride" (134 Meter) und der "Regatta" (180 Meter) zwei andere in Warnemünde liegende Ozean-Riesen trotz heftiger Böen bis Windstärke 11 mit geringer Verspätung auslaufen konnten, musste die Aidaluna aus Sicherheitsgründen am Pier 7 in Warnemünde bleiben. Selbst am nächsten Tag holte Kapitän Prem Kurc - bei zum Teil nahezu wolkenlosem Himmel - die Leinen nicht ein. Was die Unruhe unter den Passagieren steigerte, weil mit Tallinn die erste Station der Kreuzfahrt damit bereits hinfällig war. Die Reiseinformationen über die estnische Hauptstadt wurden gleichwohl noch in den Kabinen verteilt ...
Eine Reise zu den "Perlen" der Ostsee
Als sich auch am dritten Tag immer noch kein Start abzeichnete und damit auch der erste von zwei vorgesehenen Tagen in St. Petersburg nicht mehr realisierbar war, steigerte sich die Empörung an Bord. Hatten doch die meisten Gäste, die pro Kabine zwischen 3000 und 7000 Euro berappen mussten, die Reise gerade wegen dieser "Perlen" der Ostsee gebucht. Die weiteren Stationen waren Helsinki, Stockholm, Danzig und Rügen.
Der Zorn vieler Reisender wurde noch durch die Informationspolitik des Veranstalters geschürt, die der erfahrene Aida-Gast Wolfgang H. aus Essen als "desaströs" bezeichnete. Aus der wenige Kilometer von Warnemünde entfernten Aida-Zentrale in Rostock ließ sich jedenfalls kein Verantwortlicher an Bord blicken. Dafür lobte Aida-Cruise-Sprecherin Frauke Strübing ihren Arbeitgeber für ein improvisiertes zusätzliches Landprogramm: "Wir haben es den Fahrgästen ermöglicht, mit kostenlosen Shuttles in die Rostocker Innenstadt zu fahren", sagte sie der Ostsee-Zeitung und zog das Fazit: "Die meisten nahmen das gelassen oder sogar positiv auf."
Die Stimmung an Bord blieb jedoch brisant, Unterschriftenlisten mit Beschwerden und Schadensersatzansprüchen machten die Runde. Eine Eskalation wurde gerade noch vermieden, weil die Aidaluna am 13. Juni mit knapp 47-stündiger Verspätung schließlich doch noch ihre Fahrt aufnehmen konnte.
Kapitän dankt seiner Crew für ihren "heldenhaften" Einsatz
Bei vielen Passagieren kochte der Ärger allerdings noch einmal hoch, als Kaptiän Kurc am vierten Reisetag sich endlich erstmals persönlich stellte. Kein Wort des Bedauerns für die Gäste, denen zwei teuer bezahlte Reisetage (Tallinn, Petersburg) verloren gegangen waren. Dafür aber der Hinweis auf "stürmische Tage und Nächte", wie er sie in 32 Berufsjahren noch nicht erlebt hätte und ein überschwängliches Lob für geradezu "heldenhaften" Einsatz der Crew beim Auslaufen aus Warnemünde.
Aufschlussreicher war da schon der Hinweis im "Captains Blog" im Internet, wonach ein Schiff von der Art und Größe der Aidaluna in Warnemünde nur bei Bedingungen bis Windstärke 6 manövrieren könne. Warum der Ozean-Riesen dann einen solchen Hafen überhaupt anläuft, dürfte mit finanziellen Gründen (ein Liegeplatz etwa in Kiel ist erheblich teurer) und wohl auch politischen Aspekten (Aida ist in der Region ein hoher Wirtschaftsfaktor) zusammenhängen.
Gerichte entscheiden über Schadensersatz
Gerichte werden nach Abschluss der Kreuzfahrt am 21. Juni nun entscheiden, ob Aida Cruises trotz der – unstrittigen - Wertminderung ihrer jüngsten Ostsee-Kreuzfahrt um Schadensersatz mit Verweis auf höherer Gewalt herumkommt. Oder ob jene Kläger Recht bekommen, die einen Teil ihrer Reisekosten wegen nicht erbrachter Leistungen zurückfordern, weil es sich um ein Aida-spezifisches Problem handele.
Mit einem Entgegenkommen des Veranstalters auf dem Kulanzwege ist jedenfalls nicht zu rechnen. Noch während der Reise durften die Passagiere im Internet lesen, dass Aida-Cruises-Präsident Michael Thamm das Thema unter dem Aspekt "Sicherheit hat oberste Priorität" abzuhaken gedenkt. Er wünschte den Gästen noch "eine wunderschöne Reise, an die sie sich noch lange gern erinnern werden." Wohl wahr! Nur anders, als sich der Topmanager dies vorstellt.