Tokio. Rettungskräfte suchen seit Wochen nach dem Vermissten. Das Unglück ist kein Einzelfall in Japan – und bringt die Behörden in Erklärungsnot.

Es war ein Dienstagmorgen Ende Januar, als sich in Yashio, nördlich von Tokio, die Erde auftat. Wo sich zwei Straßen kreuzen, klafft seither ein rund zehn Meter weites Loch. Und drinnen, verschluckt: ein Lkw samt Fahrer, der genau zum Zeitpunkt des Kollapses die Kreuzung hatte überqueren wollen. Der 74-Jährige stürzte fünf Meter tief. In den kommenden Tagen wurde das Senkloch immer größer, bald doppelt so groß. Von dem Fahrer des Lkw fehlt jede Spur.

Anfangs konnten die Retter noch mit dem Vermissten kommunizieren, doch bald antwortete er nicht mehr. Die Rettungsarbeiter haben Schwierigkeiten bei der Suche, zumal die Sorge besteht, dass sich das Loch noch weiter öffnen könnte. Die Anwohner im Umkreis wurden evakuiert und hausen in einer Schule in der Nähe. Das ist nun fast drei Wochen her.

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Was wie eine Szene aus einem Katastrophenfilm klingt, bringt Japans Behörden in Erklärungsnot. In Japan, das eigentlich bekannt ist für seine beeindruckende Fähigkeit, schnell mit Katastrophen umzugehen, kommt Sorge auf – und dies nicht mehr nur wegen des vermissten Fahrers.

Japan fürchtet um marode Infrastruktur: Könnte sich Katastrophe widerholen?

Das „Yomiuri Shimbun“, die größte Tageszeitung des Landes, fragte vor einigen Tagen: „Was hat dieses Desaster verursacht? Und kann es wieder geschehen?“ Das „Sankei Shimbun“ dagegen forderte diese Woche in einem Leitartikel: „Der Vorfall um das Erdloch von Saitama ist ein dringender Appell, sich mit der alternden Infrastruktur zu beschäftigen.“

Die Zahl solcher Stimmen, die betonen, dass sich das Erdloch nicht völlig unerwartet geöffnet habe, nimmt nun zu. Denn in Japan gebe es heutzutage viel Infrastruktur, die dringend erneuert werden müsste. Ähnliche Fälle hat es in Japan über die vergangenen Jahre schon einige Male gegeben. Die Befürchtung, dass Saitama bis auf Weiteres nicht der letzte Ort so einer Katastrophe bleiben wird, scheint daher nicht unbegründet.

Senkloch an Kreuzung bei Tokio
Ende Januar tat sich in Yashio nahe Tokio die Erde auf: Ein Senkloch verschluckte einen Lkw samt Fahrer. © DPA Images | -

Eine mögliche Erklärung für das Unglück in Yashio: marode Abwasserrohe. Durch Korrosion, die zu undichten Stellen führte, flossen Erde und Sand unter der Straße in Hohlraum, was laut Experten wiederum den Einsturz verursacht habe. Die Rohre müssen alle fünf Jahre überprüft werden, und bei der letzten Überprüfung sei auch etwas Korrosion festgestellt worden, heißt es in lokalen Medien. Sofortige Reparaturen seien aber als nicht erforderlich betrachtet worden.

Kommunen in Japan fehlt Geld für dringende Sanierungen

Ein wichtiger Grund für die Untätigkeit dürfte das kleine Stadtbudget in Yashio sein. Wie die meisten Kommunen in Japan – mit Ausnahme von Metropolen wie Tokio oder Osaka – schrumpft der Ort. Inmitten der alternden und abnehmenden Bevölkerung im ganzen Land sind gerade kleinere Orte vom Wegzug jüngerer Menschen betroffen, die ihr Glück eher in den großen Ballungsräumen suchen. In der Folge wandern auch Betriebe ab und die Steuereinnahmen sinken. Dann fehlt das Geld für wichtige Arbeiten.

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Die alternde Bevölkerung wirkt generell wie eine Bremse für Wirtschaftswachstum, da die Zahl von Produzentinnen, Konsumenten und Steuerzahlern abnimmt. Das „Sankei Shimbun“ rechnet vor diesem Hintergrund vor: „Etwa 7 Prozent der Abwasserrohre im ganzen Land hatten Ende des Geschäftsjahres 2012 bereits ihre Nutzungsdauer überschritten. Diese Zahl wird innerhalb von 20 Jahren voraussichtlich auf 40 Prozent steigen.“ Und dies ist noch lange nicht alles, was altert.

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Auch Straßen, Brücken, Tunnel und andere Infrastrukturen stünden vor ähnlichen Herausforderungen. „Viele Einrichtungen haben im Allgemeinen das Ende ihrer 50-jährigen Nutzungsdauer erreicht. Dies wird durch Unfälle deutlich, die zu Schäden, Einstürzen usw. führen und an der Tagesordnung sind.“

Vermisster Lkw-Fahrer wollte Rente aufbessern – nun könnte er tot sein

In Japan wird nun vielerorts gefordert, dass die nationale Regierung diversen Kommunen unter die Arme greife, um dort Rohre, Brücken und weitere Einrichtungen zu erneuern. Die Regierung allerdings befindet sich in einem Dilemma: Die Staatsverschuldung ist bereits hoch, wodurch die Aufnahme weiterer Schulden tendenziell teurer wird. Da wirken Investitionen in Orte, die ohnehin aussterben, nicht als oberste Priorität. Offen ausgesprochen wird dies allerdings nicht.

Senkloch an einer Kreuzung bei Tokio
Wenige Tage nach der Katastrophe im japanischen Yashio hatte sich das Senkloch deutlich vergrößert. © DPA Images | -

In der Präfektur Saitama, in der Yashio liegt, soll nun eine unabhängige Prüfkommission beurteilen, welche Ursachen zum Desaster geführt haben und was das auch im Allgemeinen bedeutet. Dies wiederum könnte dann auch für Kommunen in europäischen Städten von Interesse sein – wo eben auch seit teilweise Jahrzehnten die Bevölkerungszahlen zurückgehen, sodass der öffentlichen Hand oft das Geld fehlt, um eigentlich nötige Instandhaltungsmaßnahmen auch rechtzeitig durchzuführen.

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Derweil schwindet die Hoffnung, den vermissten Lkw-Fahrer noch lebend zu finden. Mit seinen 74 Jahren könnte der Mann schon im Ruhestand sein. In Japan ist es jedoch typisch, dass Menschen bis ins höhere Alter weiterarbeiten, um ihre geringe Rente aufzubessern. Umso tragischer, dass ausgerechnet dieser Wunsch für den Vermissten tödlich geendet haben könnte.