Stockholm. Noch immer ist unklar, was den Amokläufer dazu bewegt haben könnte, elf Menschen zu erschießen. Nun melden sich seine Angehörigen zu Wort.
Am Tag danach steht Schweden immer noch unter Schock. Und immer noch sind viele Fragen offen. Die bisher bekannte schreckliche Gewissheit: Elf Menschen sind tot, erschossen in einem Zentrum für Erwachsenenbildung in Örebro. Es ist die schlimmste Gewalttat an einer Schule in der schwedischen Geschichte.
Der mutmaßliche Schütze ist unter den Toten. Fragen zu seiner Person ließ der Polizeichef der 126.000-Einwohnerstadt, Roberto Eid Forest, am Mittwochmorgen weitgehend unbeantwortet. Der 35-jährige Täter handelte den Ermittlungen zufolge allein. Er hatte keine Vorstrafen und auch keine Verbindung zur organisierten Kriminalität. Nach jüngsten Erkenntnissen hatte er auch kein ideologisches Motiv, wie eine Polizeisprecherin der Region Bergslagen der Zeitung „Svenska Dagbladet“ am Mittwoch bestätigte.
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Schweden: Schul-Amokläufer „zog sich von Familie zurück“
Am Mittwoch zitierte die Zeitung einen Verwandten des Mannes, der ihn als Einzelgänger beschrieb. Er sei im Gymnasium gemobbt worden und habe sich nach der Schullaufbahn immer weiter von anderen entfernt. „Er hatte keine Freunde“, sagte der Angehörige laut „Svenska Dagbladet“. Die seien irgendwann alle verschwunden. Anderen Berichten schwedischer Medien zufolge soll der Mann arbeitslos gewesen sein. Laut der Zeitung „Aftonbladet“, die sich ebenfalls auf einen Angehörigen beruft, soll er psychische Probleme gehabt haben. „Er funktionierte einfach nicht, zog sich von seiner Familie zurück“, so der Angehörige. Nur seinen Hund soll er geliebt haben.
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Die Menschen in Schweden treibt nun allem die Frage nach dem Motiv um. Eventuelle Zeugen, die Videoaufnahmen aus dem Schulgebäude hätten, wurden gebeten, diese den Ermittlern zur Verfügung zu stellen. Sie könnten helfen, den Tatverlauf nachzuzeichnen, hieß es. Überwachungskameras, Spurensicherung, Zeugenbefragungen – mit allen Mitteln werde versucht, sich ein vollständiges Bild von den Ereignissen auf dem Campus zu machen.
Schwedens Königspaar zu Gedenkgottesdienst in Örebro erwartet
„Was nicht passieren darf, ist passiert. Jetzt auch in Schweden“: Ministerpräsident Ulf Kristersson musste noch am Dienstag Worte für das Unfassbare finden. Der Eindruck, dass etwas bisher Undenkbares geschehen ist, prägte Schweden da schon den halben Tag. Um 18 Uhr hatte die Polizei erstmals von Toten gesprochen, und dann gleich diese Zahl: mindestens zehn. Diesem Schock waren Stunden der Sorge, Ungewissheit und Spekulation vorausgegangen, seit am Dienstagmittag die ersten Eilmeldungen kamen. Von einer ernsten Gewalttat und einer lebensgefährlichen Situation war da die Rede – aber was genau passierte, blieb quälend lange unklar.
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Reporter vor Ort blieb anfangs nur, die Zeichen zu deuten: die große Anzahl der Polizei- und Rettungsfahrzeuge, die Ankunft eine offensichtlich schwer bewaffneten Spezialeinheit, erschreckte Menschen, die den riesigen Campus hatten verlassen können, während andere dort stundenlang in von innen abgeschlossenen Räumen festsaßen.
Örebros Bürgermeister John Johansson nannte dies „den dunkelsten Tag in der Geschichte von Örebro.“ Neben vielen Politikern äußerte sich auch König Carl Gustaf. „Mit Trauer und Bestürzung“ hätten er und seine Familie die Nachricht über das schreckliche Verbrechen entgegengenommen, hieß es in einer Mitteilung des Königshauses.
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Am Parlamentsgebäude in der schwedischen Hauptstadt Stockholm wehen die Flaggen auf halbmast. Ministerpräsident Kristersson und Justizminister Gunnar Strömmer wurden am Mittwochnachmittag in Örebro erwartet, meldete die Nachrichtenagentur TT. Der schwedische Hof teilte mit, dass das Königspaar ebenfalls nach Örebro reisen werde. Dort nahmen König Carl XVI. Gustaf und Königin Silvia unter anderem an einem Gedenkgottesdienst teil.
Serie von Straftaten erschütterte Schweden im Januar
Die Tat trifft Schweden in einer bereits von Verunsicherung geprägten Zeit. Das Jahr hatte mit einer ganzen Serie von Sprengstoffanschlägen vor allem auf die Eingänge von Mietshäusern angefangen. Die äußeren Schäden hielten sich zumeist in Grenzen, aber ein Mieter wurde schwer verletzt. Die Taten werden von der Polizei kriminellen Gangs und deren Erpressungsaktivitäten zugeschrieben. Kein neues Problem, aber diese Eskalation erreichte mit 32 Vorfällen in 29 Tagen ein extremes Ausmaß – und ausgerechnet da passierte das Unvorstellbare in Örebro.
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Viele empfinden dies als weitere Eskalation der Gewalt, auch wenn die Taten nicht zusammenhängen. An Schulen hatten sich die Menschen in Schweden bislang sicher gefühlt. Ob es dem Land gelingt, sich vollständig von diesem Schock zu erholen? Die Antwort wird noch länger auf sich warten lassen.
(mit dpa)