Berlin. Hunderte Bergarbeiter verstecken sich in einer südafrikanischen Mine, viele sterben qualvoll. Ist die Polizei für ihren Tod verantwortlich?
Es sind verstörende Aufnahmen, die die südafrikanische Gewerkschaft Giwusa veröffentlichte: Dutzende abgemagerte Männer sitzen oder liegen halbnackt auf dem schmutzigen Boden. Aus dem Hintergrund ist ein Mann zu hören. Er erklärt, dass die Menschen hungrig seien und dringend Hilfe benötigten. „Wir zeigen Ihnen jetzt die Leichen derer, die unter der Erde gestorben sind“, sagt die Stimme und fährt fort: „Das ist Hunger. Menschen sterben, weil sie verhungern.“ Die Kamera schwenkt um auf Dutzende in Plastik eingewickelte Körper – 109 Leichen, heißt es in dem Video.
Das Filmmaterial soll laut Giwusa am vergangenen Samstag aufgenommen worden sein – und zwar in einer stillgelegten Goldmine in Stilfontein, 180 Kilometer südwestlich von Johannesburg. Seit Monaten sitzen in der Mine Hunderte mutmaßlich illegal arbeitende Bergleute fest. Die Gewerkschaften, die sich ihrem Schicksal angenommen haben, vermuten, dass sie sich dort vor der Polizei verstecken. Denn die Tragödie ist nicht etwa die Folge eines Minenunglücks.
Südafrikanische Hilfsorganisationen prangern „verräterische Politik“ der Behörden an
„Was sich hier abgespielt hat, muss als das bezeichnet werden, was es ist: ein Massaker. Diese Aufnahmen zeigen einen Haufen menschlicher Leichen von Bergleuten, die unnötig gestorben sind“, so Mametlwe Sebei, dessen Gewerkschaft sich für Rechte von Minenarbeitern starkmacht. Sebei beschuldigt die südafrikanischen Behörden, mit Vorsatz eine „verräterische Politik“ zu betreiben.
Es sind schwere Vorwürfe, die auch die südafrikanische Hilfsorganisation Macua vorbringt: Die Polizei soll mit Absicht die Aufzüge und Treppen in den Schächten abgebaut und damit den Bergleuten den Aufstieg verweigert haben. Tatsächlich hatte die Polizei im November eine Operation eingeleitet, um die Bergleute zu vertreiben. Die Behörde argumentierte zuerst damit, dass die Männer dort illegal arbeiten würden. Womöglich jedoch nicht ganz freiwillig.
Wie die Nachrichtenagentur AP berichtet, konnten einige Bergleute gerettet werden. Mit ihnen gelangte auch das Handy an die Oberfläche, auf dem die Videos aus dem Inneren der Mine zu sehen sind. „Die Bergleute, die an die Oberfläche gekommen sind, haben uns bestätigt, dass sie von schwer bewaffneten Männern bewacht werden, die sie zwingen, nach Gold zu graben“, sagte Polizeisprecherin Athlenda Mathe im November der Nachrichtenagentur dpa. Sie müssten im Austausch für Essen und Wasser arbeiten, so Mathe weiter. Später erklärte die örtliche Polizei, die Bergleute weigerten sich aus Angst vor einer Verhaftung, herauszukommen.
Bergarbeiter fürchteten womöglich Abschiebung
Illegaler Bergbau ist in Teilen Südafrikas weit verbreitet. Das Land ist reich an Bodenschätzen, doch viele Minen werden geschlossen, weil sie ein Sicherheitsrisiko darstellen oder nicht länger profitabel sind. Wie die Hilfsorganisation Macua erläutert, dringen die Bergleute illegal in die geschlossenen Schächte ein und versuchen so, doch noch wertvolle Rohstoffe zu finden. Viele von ihnen würden aus Nachbarstaaten wie Simbabwe, Lesotho oder Mosambik stammen und in Südafrika illegal arbeiten. Bei einer Verhaftung müssten sie befürchten, in ihre Heimatländer abgeschoben zu werden.
Umliegende Gemeinden beklagen seit langem ein Sicherheitsrisiko und Umweltschäden aufgrund der illegalen Aktivitäten. Bereits im August hatte die Regierung Südafrikas die Aktion „Vala Umgodi“ gestartet, was so viel bedeutet wie: „die Löcher stopfen“. Die Behörden hatten die Ein- und Ausgänge stillgelegter Minenschächte geschlossen oder von der Polizei bewachen lassen. Die Goldgräber wurden so auch von der Lebensmittelversorgung abgeschnitten. Dies sollte sie dazu zwingen, ans Tageslicht zu kommen.
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Etwa 1500 der als „Zama Zamas“ bezeichneten Bergarbeiter – auf Deutsch etwa „die, die ihr Glück versuchen“ – hätten im vergangenen Jahr bereits stillgelegte Minen in der Region verlassen. Andere seien aus Angst vor den Behörden in den Schächten geblieben. Im November, als die Vorräte in der Mine bei Stilfontein zuneige gingen, sagte Präsidialamtsministerin Khumbudzo Ntshavheni: „Wir schicken Kriminellen keine Hilfe. Wir räuchern sie aus. Kriminellen muss man nicht helfen, man muss sie strafverfolgen.“
Für Soraya Mentoor, Koordinatorin der südafrikanischen Hilfsorganisation AIDC (Alternative Information & Development Centre) ist diese Einstufung der Bergarbeiter als Kriminelle eine Ausrede der Regierung: „Damit rechtfertigt sie die unmenschlichen und unsicheren Arbeitsbedingungen, denen diese Arbeiter ausgesetzt sind – deren einziges Verbrechen oft darin besteht, unter sehr harten sozioökonomischen Bedingungen zu versuchen, Essen auf den Tisch zu bringen.“ Ebenso entziehe sich das Bergbauunternehmen seiner Verantwortung, die Minen ordnungsgemäß zu schließen und zu sanieren. „Und für den Staat bedeutet dies, dass er nicht verpflichtet ist, Gesetzesreformen zu entwickeln, die die Bergarbeiter vor ausbeuterischen Praktiken schützen“, so Mentoor.
Die Hilfsorganisation ActionAid plädiert ebenfalls dafür, bessere Bedingungen zu schaffen, damit niemand in die illegale Bergarbeit getrieben werde: „Die Stilfontein-Krise unterstreicht die Notwendigkeit von Systemänderungen, um die Ursachen des illegalen Bergbaus zu bekämpfen, gefährdete Bevölkerungsgruppen zu schützen und eine nachhaltige Entwicklung in den Bergbauregionen zu fördern.“ Zudem seien strengere Auflagen für die Schließung von Minen notwendig, um künftig illegalen Bergbau zu verhindern. Denn diese stellten zusätzlich ein Umweltrisiko dar. „Verlassene und unsachgemäß sanierte Minen tragen zu einer schwerwiegenden Umweltzerstörung bei, einschließlich verseuchter Wasserquellen und unsicherer Bodenverhältnisse“, sagte ein Sprecher der Organisation. Dies gefährde neben den Arbeitern selbst auch umliegende Gemeinden.
Gericht ordnet Rettungsaktion für Minenarbeiter an
Wie viele Menschen in Stilfontein zurzeit noch unter der Erde ausharren, ist laut Mametlwe Sebei, Präsident der Gewerkschaft Giwusa, nicht klar. Bereits 60 Leichen seien bisher geborgen worden. Vermutlich seien die Menschen im Schacht verhungert oder dehydriert. Die Hilfsorganisation Macua geht von mindestens 500 Menschen aus, die noch dort festsitzen. Möglicherweise seien es aber auch mehr als Tausend.
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Am Montag nun startete eine offiziell von einem Gericht angeordnete Rettungsaktion für die Bergleute. Allerdings könne der mit einem Kran in die Tiefe gelassene Korb nur sechs Menschen pro Stunde transportieren. Laut „Sunday Times“ könne es bis zu 16 Tage dauern, alle Überlebenden zu retten. Die südafrikanischen Behörden haben bislang keine offiziellen Zahlen zu den festsitzenden Bergleuten veröffentlicht, auch nicht darüber, wie viele Menschen bereits in der Mine gestorben sind. Polizeisprecher Sebata Mokgwabone sagte AP, noch würden Informationen geprüft, wie viele Leichen geborgen und wie viele Überlebende aus der Mine gebracht worden seien. Was danach mit ihnen passiert, ist ungewiss.