Tokyo. Nach dem Flugzeugunglück in Muan sickern erste Neuigkeiten zu den Überlebenden durch. Derweil schlittert die Unglücksairline in die Krise.
Seit Sonntag befindet sich Südkorea offiziell in Staatstrauer. Am Flughafen Muan, im Südwesten des Landes, war eine aus Bangkok kommende Maschine im Landeflug verunglückt. Von den 181 Insassen überlebten nur zwei. Nach dieser tödlichsten Flugzeugkatastrophe der südkoreanischen Geschichte dürfte es noch Wochen oder Monate dauern, bis die Gründe für das Unglück vollends verstanden sind.
„Als ich aufwachte, war ich schon gerettet“, erinnert sich einer der Überlebenden im Krankenbett. Der 33-jährige Flugbegleiter war in ein Krankenhaus in Mokpo gebracht worden, eine größere Stadt im Südwesten Südkoreas, in deren Nähe es zum großen Crash gekommen war. Dort musste er erfahren: Außer ihm hatte nur eine Kollegin das Unglück überstanden.
Flugzeugabsturz weckt in Südkorea schlimme Erinnerungen
Die beiden haben sich bisher nicht öffentlich geäußert, sind nur über die behandelnden Ärzte zitiert worden. Zum Flugbegleiter erklärte Ju Woong, Direktor des Ewha Woman’s University Medical Center: „Er ist imstande zu kommunizieren.“ Allerdings habe er mehrere Brüche erlitten, es bestehe noch die Gefahr von Lähmungen.
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Die andere Überlebende, eine 25-Jährige, liegt auf der Intensivstation im Asan Medical Center, einer anderen Klinik im Osten von Seoul. Ihr Gesundheitszustand sei stabil, hieß es. Weitere Fragen zur Person wollte das Gesundheitspersonal nicht beantworten. Unterdessen sind allmählich die Fragen zu den Toten geklärt. Die meisten von ihnen – darunter zwei Thais, ansonsten nur Koreaner – sind inzwischen identifiziert. In der Hauptstadt Seoul ist ein Traueraltar errichtet worden, wo Angehörige Abschied und Unbeteiligte Anteil nehmen können.
Es ist ein Bild, das man in Südkorea bedrückend gut kennt: Eingerahmte Namen von Personen, die unter Umständen ums Leben kamen, die eigentlich nicht allzu gefährlich erschienen. Vor gut zwei Jahren bot sich ein ähnlicher Anblick, nachdem es bei Halloweenpartys im Seouler Viertel Itaewon zu einer Massenpanik gekommen war. 159 Menschen starben. 2014, beim Untergang der Fähre Sewol, starben gar mehr als 300 Menschen, 250 davon Schülerinnen und Schüler. Ein großer Altar auch damals in Seoul.
Piloten setzten kurz vor der Bruchlandung einen Notruf ab
Die Liste ließe sich fortsetzen. Nun wird darüber diskutiert, warum es wieder einmal zu einer Katastrophe kommen musste. Kurz vorm Flugzeugunglück von Muan hatte die Flugsicherung einen Vogelschwarm gemeldet. Die Piloten wiederum sollen kurz vor der Bruchlandung einen Vogelschlag gemeldet haben. Das berichtet die Nachrichtenagentur Yonhap unter Berufung auf das Verkehrsministerium. Die Piloten hätten einen Mayday-Notruf wegen eines Zusammenpralls mit Vögeln abgesetzt.
Experten hatten zunächst vermutet, dass es Probleme bei den Triebwerken gegeben haben müsste, da das Flugzeug nach der Landung kaum abgebremst habe. Stattdessen kam die Maschine bei einer versuchten „Bauchlandung“ ohne ausgefahrenes Fahrwerk von der Landebahn ab, ehe sie in eine Wand krachte und Feuer fing.
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Auch Kritik am 2007 errichteten Flughafen Muan wird nun laut. Koreanische Zeitungen zitierten Experten, die sagen, die Landebahn sei zu kurz gewesen. Ein anonymer Pilot hat Verwunderung über die Anwesenheit der Betonwand geäußert, mit der das Flugzeug kollidierte. Zudem heben Umweltschützer und Medien hervor, dass die Gegend um den Flughafen Muan unter Vögeln schon immer beliebt gewesen sei. Dies sei aber bei der Planung des Flughafens missachtet worden.
Ein Tag nach Katastrophe: Weitere Maschine der Airline muss Flug abbrechen
Die Fluglinie Jeju Air, die den verunglückten Flug operierte, stürzt unterdessen in eine Krise. Das Unternehmen gab bekannt, dass bis 13 Uhr am Montag – also bis 28 Stunden nach dem Flugzeugunglück – ganze 68.000 Buchungsstornierungen eingegangen waren. Auch Touranbieter berichten von Stornierungen, wobei einige schon ihre TV- und Onlinewerbungen ausgesetzt haben, offenbar um den Vorwurf zu vermeiden, aus einer Krise Profit zu schlagen.
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Jeju Air könnte eine größere Reputationskrise erleiden. Schließlich kehrte am Montag ein anderes Flugzeug der Airline nach dem Start zum Abflugort zurück, nachdem dort ähnliche Probleme mit dem Fahrwerk ermittelt worden waren wie bei der verunglückten Maschine vom Sonntag. Der Aktienpreis von Jeju Air fiel am Montag um knapp neun Prozent. Noch härter könnte der Vorfall den US-amerikanischen Flugzeugbauer Boeing treffen, dessen Maschine Jeju Air im Einsatz hatte.
Das Verkehrsministerium in Seoul erklärte am Montag, bei einer „umfassenden Inspektion“ alle von den Fluggesellschaften des Landes betriebenen Boeing 737-800-Maschinen überprüfen zu wollen. Die 41 Flugzeuge umfassende Flotte von Jeju Air umfasst 39 Flugzeuge dieses Typs.
Südkorea diskutiert über Mängel bei der öffentlichen Sicherheit
In Südkorea stellt sich die Frage nach Sicherheit auch jenseits dieses Unglücks. „Muan International Airport war als regionales Drehkreuz für Südkoreas Südwesten vorgesehen“, schrieb die Zeitung Chosun Ilbo am Montag. „Trotz anfänglicher Schätzungen von 9,92 Millionen Passagieren pro Jahr nutzten im vergangenen Jahr nur 246.000 den Flughafen.“ Das 1999 begonnene Projekt sei ein politisch orientiertes Entwicklungsvorhaben gewesen, bei dem Sicherheit hintangestellt worden sei.
Dieser Eindruck entsteht nicht durch Zufall. Auch die Desaster rund um die Fähre Sewol und die Massenpanik von Itaewon wären so wohl kaum geschehen, wenn der Sicherheit eine höhere Bedeutung beigemessen worden wäre. Die Sewol war offenbar überladen und die Ladung auch noch schlecht abgesichert; in Itaewon mangelte es an Planung und Personal. In den kommenden Wochen sind Diskussionen darüber, ob man bei Jeju Air und dem Flughafen Muan besser hätte hinsehen sollen, nun vorprogrammiert.
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Bis die Wunden der Überlebenden sowie der Hinterbliebenen heilen, wird es wiederum noch viel mehr Zeit brauchen. Das erfuhr der Klinik-Direkor Ju Woong auch im Kontakt mit dem überlebenden Flugbegleiter. Der habe nämlich, offenbar noch im Schock, gar nicht nach den Umständen gefragt, unter denen fast alle anderen im Flugzeug gestorben sind. Das hätte ja auch nichts mehr geholfen, hieß es.