Paiporta. Nach der Flut müssen Tausende Spanier ohne das Nötigste auskommen. Noch immer läuft die Suche nach Vermissten. Ihre Schicksale schockieren.
Auch 72 Stunden nach der Regen- und Flutkatastrophe liegt der Ort Paiporta noch unter einer dicken Schlammschicht. Soldaten, Feuerwehrmänner und Bewohner kämpfen mit Schaufeln und schwerem Räumgerät gegen die Matschdecke, die die Straßen überzieht, an den Fassaden klebt und in Wohngebäude und Geschäfte eingedrungen ist. „Es wird noch Wochen dauern, bis wir hier fertig sind“, erklärt ein Sprecher der Einsatzleitung.
Paiporta ist das Epizentrum dieser Horror-Tragödie in Spanien, die das Hinterland der Mittelmeerstadt Valencia traf und allein in diesem Ort mindestens 62 Menschen in den Tod riss. Die Zahl der Opfer steigt stündlich. Im gesamten Katastrophengebiet der Provinz Valencia wurden bisher 202 Unwettertote geborgen.
Die Bergungsmannschaften kommen in diesem Ort, in dem 25.000 Einwohner leben, und in dem das Hochwasser besonders viel angerichtet hat, nur langsam voran. Sie müssen sich in Keller, Parterrewohnungen und Tiefgaragen vorkämpfen, die am Tag, als in Paiporta die Welt unterging, minutenschnell mit Wasser vollliefen. Und sie müssen Hunderte von Autowracks nach Vermissten durchsuchen, die von der Wassergewalt auf den Straßen mitgerissen und zusammengedrückt wurden. Man sieht Szenen wie nach einem Krieg.
Auch interessant: Flutkatastrophe um Valencia – Was zu verhindern gewesen wäre
Der Albtraum in Paiporta, zehn Kilometer südwestlich der Großstadt Valencia, nahm seinen Anfang, als es am Dienstag wie aus Kübeln zu regnen begann. Ein Starkregen prägte das Wetter, wie ihn auch die älteren Bewohner noch nie erlebt hatten. Binnen kurzer Zeit tobte dort, wo normalerweise ein kleines Rinnsal namens Poyo durch den Ort plätschert, ein wilder Strom. Aus dem Strom wurde eine höllische Flut, die aus dem Bachbett trat, sich in die Straßen ergoss und alles verschlang, was sich im Weg befand.
Auch interessant
Vater muss mit ansehen, wie sein Auto mitsamt Frau und Baby versinkt
Für viele Menschen wurden die Straßen zur tödlichen Falle. Wie etwa für die 34 Jahre alte Lourdes G., die mit ihrem drei Monate alten Baby an diesem Horrortag ertrank. Die beiden waren mit Familienvater Antonio T. gerade ins Auto eingestiegen. Sie wollten den Ort angesichts des immer heftigeren Unwetters verlassen. Doch da war es schon zu spät: Von hinten kam eine Wasserwelle angeschossen.
„Ich kam noch aus dem Auto raus und wollte meine Frau und mein Baby retten“, berichtet Antonio T. weinend. „Ich wurde aber sofort von der Strömung mitgerissen.“ Wenig später habe er noch gesehen, wie das Auto mit Frau und Baby in den Fluten verschwand. Inzwischen wurden die Leichen der beiden gefunden.
- Tod: Hospiz-Krankenschwester – „Ab diesem Punkt sterben Menschen innerhalb von 72 Stunden“
- Tier-Angriff: Surfer überlebt Hai-Attacke – „Um mich herum war eine Blutlache“
- Familie: Kinderprostitution – „Ich spüre noch seine Hände auf mir“
- Nahtoderfahrung: Vom Blitz getroffen – Überlebender berichtet von „verdammtem Glück“
- Kindesentführung: Von der eigenen Mutter gekidnappt – Ich habe es selbst erlebt
In Paiporta spielten sich an diesem Tag viele solcher Dramen ab. Auch im Altenheim am nördlichen Ortsrand. Auf einem Video, das der Koch der Einrichtung aufnahm, sieht man, wie die Senioren in Rollstühlen im Aufenthaltsraum sitzen und versuchen, dem Unheil zu entkommen. Das Wasser steht bereits einen halben Meter hoch. Es reicht den Menschen, die in ihrer Bewegungsfähigkeit stark eingeschränkt sind, bis zur Hüfte. Hilflos rudern sie mit den Armen herum.
Nach dem plötzlichen Wassereinbruch gelang es dem Pflegepersonal, die meisten Heimbewohner zu retten und in den ersten Stock zu bringen. Zunächst mit dem Aufzug, der glücklicherweise noch kurze Zeit funktionierte. Und dann über die Treppe. Doch für sechs Senioren kam jede Hilfe zu spät. Sie ertranken in den Parterre-Räumen des Altenheims, in dem wenig später das Wasser meterhoch stand.
Viele Tote bei Unwetter in Spanien
Todestragödien wie in Paiporta spielten sich auch in vielen Nachbarorten ab. Das ganze Ausmaß dieses Flutunglücks wird erst nach und nach sichtbar. Die Armee mobilisierte inzwischen nahezu 2000 Soldaten, um bei der Suche nach Vermissten und beim Aufräumen zu helfen. Zehntausende Menschen im Katastrophengebiet sind seit Tagen ohne Strom. Im mehreren Dörfern ist das Trinkwassernetz zerstört.
Verzweiflung nach der Unwetter in Spanien: „Wir haben seit Tagen nichts mehr gegessen“
Da auch etliche Supermärkte in den Fluten versanken, mangelt es mittlerweile in Paiporta und andernorts an Lebensmitteln. Lkws mit Nachschub kommen nicht durch, weil viele Straßen zerstört sind. Hilfsorganisationen begannen, mit Feldküchen und Notpaketen die Bevölkerung zu versorgen. Die Luftwaffe bringt per Hubschrauber Nahrungsmittel. Doch die Hilfe reicht nicht. „Wir haben seit Tagen nichts mehr zu essen“, ruft verzweifelt eine Frau in Paiporta vom Balkon eines Wohnhauses den Reportern unten auf der Straße zu. Die Haustür ist noch durch Schlamm und Autowracks blockiert. An einer Schnur lässt sie einen Eimer herunter, in denen ein Helfer eine Mineralwasserflasche und mehrere Konservendosen legt.
Auch interessant
Die Not im Katastrophengebiet setzte eine große Solidaritätswelle in Gang. Tausende Menschen, vor allem aus der nahen Großstadt Valencia, die vom Unwetter weniger betroffen war, versuchten an diesem Freitag mit dem Auto in das Unglücksgebiet zu kommen. Mit der guten Absicht, mit Lebensmitteln und mit Schaufeln zu helfen.
Lesen Sie auch: Spanier flehen im Radio um Hilfe – „Bitte rettet uns!“
Doch die Hilfsbereitschaft war so groß, dass es auf den wenigen Straßen, die nach der Schlammflut noch befahrbar sind, zu langen Staus kam, in denen dann auch die Rettungsmannschaften festhingen. Am Freitagnachmittag forderte der Ministerpräsident der Region Valencia, Carlos Mazón, die freiwilligen Helfer auf: „Bitte fahren Sie wieder nach Hause.“
- Interaktive Karte: So wird der Klimawandel das Leben in Ihrer Region verändern
- Antarktis: Gigantischer Eisschild könnte kurz vor dem Abschmelzen sein
- Google Earth: Diese Funktion zeigt die Klimakrise im Zeitraffer
- Ernährung: Wie durch Fleischverzicht die Klimaziele erreicht werden könnten
- Klimawandel im Meer: Katastrophale Zustände in der Tiefe sorgen für Massensterben