Valencia. Die Flut in Spanien hat mindestens 158 Tote gefordert, noch immer werden Menschen vermisst. Der Bericht einer deutschen Familie lässt schaudern.
„Wir haben Glück gehabt“, sagt Rupert Neumann, ein deutscher Manager, der im Nordwesten der Stadt Valencia lebt. „Meine Familie ist unversehrt.“ In seinem Wohnviertel habe es weniger stark geregnet, es sei nichts zerstört worden, berichtet er erleichtert. Er weiß, dass es andere Vororte schwer erwischt hat. Am Donnerstagnachmittag wurden bereits mindestens 158 Tote gemeldet. Und es könnte noch schlimmer werden. Viele Menschen sind noch vermisst.
Der Schreck sitzt Rupert Neumann und seiner Frau Susana noch in den Knochen. Denn am Tag, als die sintflutartigen Regenfälle über der Region Valencia niedergingen, waren Susanas Schwester, ihre 82 Jahre alte Mutter und der sechsjährige Enkel gerade im Auto unterwegs. In der in Valencia gelegenen Schule des Kleinen war der Unterricht zu Ende gegangen. Die Familie wollte nach Hause in den südlich gelegenen Ort Alginet fahren. Doch die Polizei schickte sie zurück. Zum Glück.
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Denn später sahen sie im Fernsehen das ganze Ausmaß des Dramas: Wie Autofahrer genau auf der Straße, die sie hätten nehmen müssen, von den Wassermassen eingeschlossen wurden, sich auf Fahrzeugdächer oder Brücken retten mussten und Todesangst ausstanden. Die meisten dieser Eingeschlossenen mussten die Nacht in den Fluten verbringen, bis sie am nächsten Morgen gerettet wurden.
Tragödie in der Tiefgarage: Menschen wollten Autos retten und ertranken
Nicht weit entfernt von dieser überschwemmten Stadtautobahn Valencias liegt das Arbeiterviertel La Torre, das am Dienstag von meterhohen Wasser- und Schlammfluten verwüstet worden war. Auch zwei Tage nach der Katastrophe sieht man hier Hunderte von Autos, die von der Gewalt der durch die Straßen geschossenen Sturzbäche aufeinander geschoben wurden. Die meisten Fahrzeuge haben nur noch Schrottwert.
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Im Wohnviertel La Torre starben elf Menschen. Allein neun Personen kamen um, als sie ihre Autos aus zwei Tiefgaragen retten wollten. Als sie in die Garagen gingen, stand das Wasser dort nur knöcheltief. Minuten später reichte er bis zur Garagendecke. Die Eingeschlossenen hatten keine Chance, der plötzlichen Flut zu entkommen und ertranken.
Dabei hatte es in diesem Viertel an diesem Tag kaum geregnet, berichtet Padre Salvador, der Pfarrer der katholischen Gemeinde Nuestra Señora de Gracia. „Hier kam das ganze Wasser aus höhergelegenen Bachbetten und Schluchten an, die über die Ufer getreten waren. Das Wasser drang mit solcher Gewalt in das Stadtviertel ein, dass alles überschwemmt wurde. Das war wie ein Tsunami.”
Auch am Donnerstag suchten tausende Helfer in der Katastrophenregion nach Vermissten. Bis Donnerstagmittag wurden in der Provinz Valencia 92 Tote geborgen, am Nachmittag stieg die Zahl schon auf 140, wie die staatliche Nachrichtenagentur EFE berichtet. Viele Menschen werden noch vermisst. Allein in dem südwestlich von Valencia gelegenem Ort Paiporta, der entlang eines meist trockenen Bachbettes gebaut wurde, starben mindestens 45 Menschen. Das Bachbett hatte sich am Dienstag in einen tobenden Strom verwandelt.
Tourismusbehörde: Das sollten Urlauber unbedingt vermeiden
Es wird erwartet, dass nach Beseitigung der Trümmer- und Schlammmassen noch weitere Opfer gefunden werden. Die Zahl der Toten könnte also noch weiter ansteigen. Spaniens Regierungschef Pedro Sánchez erklärte die Zone zum Katastrophengebiet. Unterdessen nahm die Polizei mindestens 60 Plünderer fest, die sich in den zerstörten Orten in Geschäften und Wohnungen bedienen wollten.
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Die Tourismusbehörde Valencias rät von einem Stadtbesuch ab. Der Verkehr auf den Zufahrtsstraßen und der Betrieb der Busse oder Bahnen sei immer noch gestört. Die Schnellzugverbindungen mit Madrid und Barcelona seien suspendiert. Der Betrieb auf dem Flughafen laufe ebenfalls nur stockend.
Verteidigungsministerin Margarita Robles erklärte unterdessen die Suche nach den Vermissten zur Priorität des Tages, wie sie dem TV-Sender Telecinco sagte. In den Fokus rückt nun die Frage, ob die Behörden nicht früh genug vor der Gefahr gewarnt haben. Das ganze Ausmaß der Schäden war auch am Donnerstagmittag noch unklar. Die Zentralregierung in Madrid rief eine dreitägige Staatstrauer ab Donnerstag aus. Sie sicherte den Betroffenen auch schnelle Hilfe beim Wiederaufbau zu.
Heftige Kritik an Behörden: Wurde zu spät gewarnt? Einheimische erzürnt
Robles lehnte es jedoch ab, sich an der in Spanien entbrannten Diskussion über Versäumnisse bei der Warnung vor diesen verheerenden Unwettern zu beteiligen. „Jeder weiß, was er gut und schlecht gemacht hat“, sagte sie mit Blick auch auf einen Streit zwischen Innenminister Fernando Grande-Marlaska und dem Regierungschef der Region Valencia, Carlos Mazón. Beide werfen sich gegenseitig vor, für das Warnsystem zuständig gewesen zu sein.
Tatsächlich gingen Warnungen des Zivilschutzes am Dienstag gegen 20.10 Uhr an die Handys aller Menschen in der Region Valencia, wie der staatliche Rundfunksender RTVE rekonstruiert. Dabei habe es aber schon Stunden vorher zu regnen begonnen, merkte die Zeitung „El País“ an. Und schrieb weiter: Der Wetterdienst Aemet habe bereits am Dienstagmorgen gegen 7.30 Uhr die höchste Warnstufe ausgerufen, was sehr hohe Gefahr bedeutet.
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Doch die Warnungen des Zivilschutzes seien dann erst am Abend erfolgt, als erste Flüsse bereits über die Ufer getreten waren. Viele Menschen waren trotz der Unwetter in ihren Autos unterwegs und liefen damit Gefahr, liegenzubleiben oder von der Strömung weggerissen zu werden. Die große Ford-Fabrik in Almussafes und die Universität Valencia hatten ihre Leute zuvor bereits nach Hause geschickt, wie die Zeitung schrieb. „Sie haben Alarm geschlagen, als das Wasser schon da war. Dann muss mir niemand mehr sagen, dass das Wasser kommt“, schimpfte der 66-jährige Rentner Julian Ormeno in Sedavi, einem Vorort von Valencia.
Seltenes Wetterphänomen sorgte für Flutkatastrophe
Auslöser für die Unwetter in Spanien war das Wetterphänomen „Kalter Tropfen“ (gota fría). Es tritt in der spanischen Mittelmeerregion in den Monaten September und Oktober häufig auf und basiert auf stark schwankenden Temperaturen von Meer und Luft. Das Phänomen entsteht, wenn sich die ersten atlantischen Tiefausläufer mit feuchtkalter Luft über das warme Mittelmeer schieben. Angesichts dieser plötzlichen Wettergewalten bedingt durch den Klimawandel fühlten sich nicht wenige gerade in Deutschland auch an die Flutkatastrophe im Ahrtal erinnert, bei der im Juli 2021 mindestens 135 Menschen ums Leben kamen.
Die Unwetter in Spanien sei „ein weiterer Weckruf, dass unser Klima sich schnell verändert“, sagte Hayley Fowler, Professorin für die Auswirkungen des Klimawandels an der Universität von Newcastle in Großbritannien. „Unsere Infrastruktur ist nicht für dieses Ausmaß von Überschwemmungen konzipiert“, fügte sie hinzu. Durch hohe Meerestemperaturen, „die alle Rekorde brechen“, würden Unwetter verstärkt, die mancherorts zu extremen Regenmengen führten.
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