Berlin. Der Druck in den Phlegräischen Feldern sorgt für Unruhe in Süditalien. Forscher planen nun Bohrungen, doch das birgt Risiken.
Seit anderthalb Jahren sorgt der Supervulkan in den „Phlegräischen Feldern“, der sich westlich von Neapel befindet, immer wieder für erhebliche Unruhe in der Region. Besonders stark betroffen ist die Hafenstadt Pozzuoli, doch auch die westlichen Stadtteile Neapels sind nicht verschont geblieben. Die Einwohner erleben immer wieder Erdbeben mit einer Stärke von bis zu 4,4, was bei den rund 500.000 Menschen in der Gefahrenzone große Angst und Unsicherheit auslöst. Mehrfach mussten hunderte von Häusern evakuiert werden, während die Bewohner um ihre Sicherheit fürchteten.
Die „Phlegräischen Felder“ sind ein insgesamt 150 Quadratkilometer großes Areal mit hoher vulkanischer Aktivität. Die Erdbeben in Pozzuoli sind eine Folge der Hebung des Bodenniveaus, ein Phänomen, das als „Bradyseismus“ bekannt ist. Diese Beben kündigen sich oft durch ein mysteriöses Donnern an, das durch vulkanische Aktivitäten im Untergrund verursacht wird. Besonders stark hebt sich die Erde in der Region um die heißen Quellen des Solfatara-Kraters und das benachbarte Pisciarelli-Gebiet.
Forscher rund um den neapolitanischen Geochemie-Professor Benedetto De Vivo schlagen nun eine umstrittene Methode vor, um die Gefahren, die vom Vulkan ausgehen, zu entschärfen. In einem Artikel, erschienen im Fachmagazin „American Mineralogist“ schlagen die Vulkanologen und Geophysiker vor, den Supervulkan anzubohren und den Druck somit abzulassen. De Vivo erklärt gegenüber „Pozzolinews24.it“, dass „mindestens zehn Löcher mit einer Tiefe von drei Kilometern, von denen einige auch im Meer sind, gebohrt werden könnten“.
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Flüssigkeitsaufstieg als Ursache für die Erdbeben – Bohrung soll Abhilfe schaffen
Im Artikel erklären die Wissenschaftler, dass die aktuelle Krise in den „Phlegräischen Feldern“ auf das Aufsteigen von Flüssigkeiten und nicht auf Magma zurückzuführen ist. Während Magma in der Erdkruste aushärtet, stößt es Flüssigkeiten aus, die zur Oberfläche gelangen und die Erdbeben verursachen. Die jüngsten Erdbeben in der Region Solfatara-Pisciarelli würden daher von den Wissenschaftlern als Zeichen für die Aktivierung eines Verwerfungssystems interpretiert, das während früherer Bradyseismus-Krisen inaktiv war.
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„Darüber hinaus ist der Anstieg des Massenflusses der Solfatara-Pisciarelli-Fumarole eine Manifestation des Flüssigkeitsausstoßes, der die Hebungsrate des laufenden Bradyseismus-Ereignisses erheblich verringert“, heißt es im Artikel. Bedeutet: Die Erdbeben verhindern, dass sich noch mehr Druck aufbaut. Daher hätte sich Häufigkeit und Intensität der Beben bereits verringert. Das heiße Wasser oder Gas könnte man als Geothermie nutzen. Ziel sei es, „das Risiko phreatischer Eruptionen zu minimieren und gleichzeitig Hebung und Bebenaktivität zu verringern.“
Vulkanologe warnt vor Risiken durch Bohrungen
Giuseppe Mastrolorenzo, ein Vulkanologe am Vesuv-Observatorium des Nationalen Instituts für Geophysik und Vulkanologie (INGV), betrachtet die vorgeschlagenen Bohrungen in den „Phlegräischen Feldern“ als äußerst riskant. Er warnt im Interview mit „Pozzolinews24.it“: „Es handelt sich um komplexe Systeme, die wir nicht auf einen Schnellkochtopf reduzieren können. Kleine Modifikationen, die wir vornehmen, können große, unvorhersehbare Auswirkungen haben.“ Mastrolorenzo verweist auf einen INGV-Bericht aus dem Jahr 2018, der vor den Gefahren von Bohr-, Förder- und Flüssigkeitsinjektionsaktivitäten in dieser vulkanisch aktiven Region warnte.
Der Experte betont, dass weltweit bekannt sei, dass Geothermiebohrungen Erdbeben auslösen können. In den „Phlegräischen Feldern“ könnte eine Veränderung des hydrothermalen Systems, das seit Jahrtausenden in einem kritischen Gleichgewicht ist, zu schwerwiegenden Konsequenzen führen. Mastrolorenzo erklärt: „Wir kennen die Randbedingungen nicht. Jede Änderung könnte unvorhersehbare Entwicklungen nach sich ziehen.“ Besonders besorgniserregend ist sein Hinweis auf das Risiko, dass Flüssigkeiten ausgestoßen werden, die Kohlendioxid enthalten – ein Gas, das dichter als Luft ist und somit potenziell tödliche Zonen schaffen könnte.
Mastrolorenzo warnt weiter vor der Möglichkeit, dass die Bohrungen auch Erdbeben in umliegenden Strukturen auslösen könnten, die weit über der bislang maximalen Magnitude von 4,4 liegen. „Wir sprechen also von einem potenziell verheerenden Erdbeben“, erklärt er. Sein Lösungsvorschlag lautet, dass die Mittel für die Bohrungen besser in die Erdbebensicherheit von Gebäuden investiert werden sollten. Er sieht die gesamte Region Neapel, mit über drei Millionen Einwohnern, in Gefahr, da auch eine große Eruption jederzeit möglich sei.
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