Washington. Als “Citizen Kane“ und “Dritter Mann“ wurde Orson Welles zur Legende. Am 6. Mai wäre er hundert Jahre alt geworden.

Erst Wunderkind und Triumphator zwischen Bühne, Radiomikrofon und Filmkamera. Dann Scharlatan, Exzentriker und zum Mythos geronnene Legende des Scheiterns. 

Wenn das Karrieregutachten „larger than life“, größer als das Leben, jemals zugetroffen haben sollte, dann auf Orson Welles, der über sich diesen Satz sagte: „Es gibt Persönlichkeiten, die für sich genommen schon wie eine einzige Übertreibung wirken. Unglückseligerweise gehöre ich dazu. Die Kamera vergrößert mich nicht nur – sie bläst mich auf.“ Am 6. Mai vor 100 Jahren wurde der in allen Künsten beheimatete Tausendsassa in Kenosha im US-Bundesstaat Wisconsin geboren.

Wer auf Welles‘ Biografie schaut, sieht ein Leben in Cinemascope an sich vorbeiziehen. Schon als Grundschüler inszenierte er im Kinderzimmer frühreif Shakespeare. Das Madison Journal würdigte ihn als Karikaturist, Schauspieler und Poet – „und das mit zehn“.

Im Alter von 26 lieferte Welles mit dem Film „Citizen Kane“ ein Epos für die Ewigkeit

Als 16-Jähriger startet der früh verwaiste Sohn eines reichen Erfinders und einer bildhübschen Konzertpianistin seine Karriere. Er spielte in Dublin Theater und seinen Chefs glaubhaft vor, er sei schon 22.

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Mit 23 jagte er Amerika mit dem Hilfe-die-Marsmenschen-kommen-Hörspiel „The War Of The Worlds“ nach H.G. Wells einen Schauer über den Rücken, bei dem kein „Alien“-Film mitkommt. Die angebliche Live-Reportage über ei­ne Attacke Außerirdischer in New Jersey löste im Oktober 1938 eine Massenpanik aus. Und Welles‘, der personifizierte Schildbürgerstreich, landete zum ersten Mal auf dem Cover des „Time“-Magazins. 

1941 lieferte er, keine 26 Jahre alt, mit „Citizen Kane“ seinen ersten vollendeten großen Kinofilm und ein bis heute funkelndes Epos von Aufstieg und Absturz für die Ewigkeit ab. Der Zeitungszar Charles Foster Kane war dem echten Print-Titanen William Randolph Hearst abgeschaut. Noch heute rätselt die Filmwelt, was oder wer „Rosebud“ ist. 

Welles: Autor, Regisseur, Star und Produzent

Obwohl das Meisterwerk an der Kinokasse floppte, schaltete Hollywood den Flipper für Welles danach auf Freispiel. Absolute Vollmacht. Als Autor, Regisseur, Star und Produzent. Aber der besessene, Rainer Werner Fassbinder darin nicht unähnliche Schwerstarbeiter Welles verspielte jeden Kredit, als er sich in drei Projekte gleichzeitig stürzte und, Zeugnis seiner Angst vor Stillstand und Vollendung, alle gegen die Wand fuhr.

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Von Amerika geschmäht, suchte Welles in der alten Welt und immer wieder bei Shakespeare Zuflucht. In „Macbeth“, „Othello“ und „Falstaff“ erkannte sich der nach Umfang und Werk über die Jahre gleichermaßen maßlos gewordene Exzentriker wieder. 

Als charmanter Gauner namens Harry Lime brillierte er 1949 in Carol Reeds „Der dritte Mann“ und zauberte frei nach Graham Greene im Nachkriegs-Wien ganz Europa mit seinem unschuldigen Kinderblick zu den unnachahmlichen Zither-Klängen von Anton Karas ein Lächeln aufs Gesicht. 

Herzinfarkt am Schreibtisch

Orson Welles starb am 10. Oktober 1985 wie es sich gehört: Mitten in den Vorbereitungen für seinen letzten Film „The Magic Show“. Herzinfarkt. Am Schreibtisch. Sein Chauffeur fand ihn Stunden später. Welles war ein virtuoser Jongleur mit Raum und Zeit. Einer, der in jeder Szene vor und hinter der Kamera wie Columbus Amerika neu entdecken wollte. Sein Zauber ist bis heute nicht verflogen.