Köln. Seit 20 Jahren ist er Beichtvater für Tausende: Jürgen Domian. Aber Nachtarbeit zehrt an ihm – und zerstört seine sozialen Kontakte. Ein Interview.
Die Ankündigung war für viele seiner Fans ein Schock: Jürgen Domian hört auf. Ende 2016 soll seine Anrufsendung "Domian" im WDR-Radio 1Live und im WDR-Fernsehen zum letzten Mal laufen. Seit 20 Jahren erzählen ihm fremde Menschen Nacht für Nacht von ihren Problemen. Im Interview der Deutschen Presse-Agentur spricht Domian darüber, warum er aufhört, wen er selbst anruft und was er danach machen will.
Inzwischen sind ein paar Tage vergangen, seit Sie angekündigt haben, mit Ihrer Sendung aufzuhören. Fühlen Sie sich erleichtert oder bereuen Sie das schon?
Jürgen Domian: Ich bin absolut mit mir im Reinen. Und ich bin wirklich überwältigt von der ungeheuren Welle des Zuspruchs aus ganz Deutschland. Da überkommt mich ein tiefes Gefühl der Demut.
Warum hören Sie auf? Haben Sie einfach keine Lust mehr?
Domian: Mit Lust hat das gar nichts zu tun. Aber die Nachtarbeit zehrt schon an mir, das merke ich deutlich. Zwar bin ich fit und gesund, aber mein Arzt sagt mir schon lange, "das können Sie nicht auf Dauer machen". Ich möchte auch mal wieder was vom Tag haben und einem normalen Lebensrhythmus nachgehen. Vor allem im Winter ist es schlimm, wenn ich fast überhaupt keine Sonne sehe. Oft sitze ich dann am späten Nachmittag vor einem Lichttherapiegerät, um zumindest etwas Helligkeit abzubekommen. Im Übrigen ist es ein guter Zeitpunkt aufzuhören, wenn es hervorragend läuft.
Wie sieht denn Ihr Tagesrhythmus aus?
Domian: Vor 5.30 Uhr komme ich nicht ins Bett. Ich habe immer Schlafprobleme und versuche, bis in den Nachmittag hinein zu schlafen. Alle Termine mit Behörden, Ärzten oder Handwerkern sind ein Problem für mich. Mit Freunden treffe ich mich in der Woche gar nicht, mein Sozialleben findet am Wochenende statt. Da ist auch viel auf der Strecke geblieben.
Können Sie Ihre Sendung denn nicht einfach vorverlegen?
Domian: Das war immer mein Wunsch. Aber dafür hätte man das gesamte Spätprogramm des WDR-Fernsehens umbauen und die vorherigen Sendeplätze verlegen müssen. Ich habe volles Verständnis, dass das nicht geht.
Viele Anrufer erzählen Ihnen von schlimmen Schicksalen, Krankheiten oder widerlichen Taten. Wie halten Sie das aus?
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Domian: Nach der Sendung machen wir immer eine Stunde Nachbesprechung mit den Psychologen, das tut gut. Den Rest nehme ich mit nach Hause, manche Sachen beschäftigen mich durchaus länger. Aber das beste ist, dass ich in den 20 Jahren viel demütiger geworden bin. Wenn ich höre, was es für Schicksale gibt, erscheinen mir meine eigenen Probleme immer klein.
Haben sie zwischenzeitlich mal den Glauben an die Menschheit verloren?
Domian: Das nicht, aber mein Menschenbild hat sich verschlechtert, weil ich in Abgründe geschaut habe, die ich mir vorher nicht vorstellen konnte.
Wie schaffen Sie sich einen Ausgleich?
Domian: Meine zweite Welt ist das Bücherschreiben. Und mein Gegenprogramm ist es seit Jahren, im Sommer allein nach Lappland zu reisen. Da rede ich vier Wochen lang fast gar nicht, sondern lese und wandere. Ich tauche völlig ab in der Stille.
Wen rufen Sie eigentlich an, wenn es Ihnen schlecht geht?
Domian: Zum Glück habe ich mein ganzes Leben lang immer einen oder zwei Menschen gehabt, die mir so vertraut waren, dass ich mit ihnen über alles sprechen konnte.
Was werden Sie machen, wenn die Sendung ausgelaufen ist?
Domian: Ich weiß es noch nicht. Bis dahin ist ja auch noch Zeit. Allerdings sind über 20 000 geführte Interviews eine gute Grundlage für andere berufliche Aktivitäten. Mich interessiert der gesamte Bereich Talk. Ich würde gern allein oder mit jemandem zusammen eine große Talkshow moderieren. (dpa)