Köln.. Ausgerechnet Jürgen Domian dämpft die Stimmung von 1Live vor dem 20-jährigen Wellen-Jubiläum. Das Sender-Maskottchen will gehen. Wer kann ihm folgen?

Er ist etwas, was im digitalen Zeitalter mit seinem medialen Überangebot kaum noch denkbar ist: einzigartig, unverkennbar, ein Original. Nacht-Talker Jürgen Domian ist so lange bei 1Live, wie es die jungen WDR-Hörfunkwelle gibt.

Die Truppe um Grimmepreis-Träger Jochen Rausch feiert am 1. April – kein Scherz – ihr 20-jähriges Jubiläum. Doch ausgerechnet Domian dämpft den Überschwang. Er will im kommenden Jahr Schluss machen mit der Nachtschicht.

Seelische Drangsal oder skurrile Sex-Phantasien

Ob Liebeskummer oder Beziehungsstress, seelische Drangsal oder skurrile Sex-Phantasien: Domian ist nichts Menschliches fremd. Werktags zwischen eins und zwei am Morgen ist der 57-jährige Gummersbacher ganz Ohr für die Nöte der Nation. Seine Sendung funktioniert nach dem umgekehrten Beichtstuhl. In der Kirche bleibt der Beichtvater unsichtbar, Domian hingegen war sichtbar.

Das hat damit zu tun, dass der WDR den nächtlichen Radio-Kummerkasten parallel im Dritten ausstrahlt. Während der Moderator mit Mikro, Kopfhörer und wohlwollend angedeutetem Lächeln in die Kamera sieht, nimmt er Anrufe entgegen. Die Anrufe bleiben quasi-anonym. Wer Rat sucht, nennt nur seinen Vornamen. Immerhin werden stets privateste Probleme ausgeschüttet.

Domian ist ein Meister des aktiven Zuhörens: Der Radio-Therapeut lässt einerseits Anrufern Zeit, um andererseits durch Nachfragen das Gespräch voranzutreiben. Läuft es gut, deutet sich zum Ende eine Lösung an, läuft es schlecht, wurde ein Problem zumindest ausgesprochen. In diesem Fall rät die Redaktion zu professioneller Hilfe.

Die Themen sind stets persönlich

Was Domian von den Polit-Talkern und Promi-Plaudertaschen unterscheidet: Bei ihm gibt es nie banalen Small-Talk, die Themen in seiner Sendung sind stets persönlich. Domian begegnet allen Anrufern – unabhängig von Geschlecht und Alter, Nationalität und Bildungsgrad – gleichermaßen offen.

Für den WDR hat das Format dreifachen Charme. Im Nacht-Radio hat Domian fast ein Rede-Monopol – seine Konkurrenz besteht zum übergroßen Teil aus Dudelfunk. Selbst die wenigen Info-Wellen wiederholen Beiträge vom Tag.

Die TV-Beiträge sind äußerst kostengünstig produziert: ein Mann, ein Studio, eine Kamera – karger geht’s kaum. Und dass Domian recht fix im Netz sein würde, war beinahe zwangsläufig. Die sozialen Netzwerke ermöglichen schnellen und – wenn gewünscht – anonymen Austausch.

Treppenwitz der Medien-Geschichte: Nicht der öffentlich-rechtliche Rundfunk setzte Domian Schranken, sondern ausgerechnet Facebook. Das Netzwerk, das sich gern freiheitlich gibt, löschte kurzerhand kirchenkritische Stellungnahmen des Moderators. Facebook drehte kleinlaut bei, und Domian blieb.

Wellen-Chef verspricht Domian einen „würdigen Abschied“

Dem WDR-Publikum bleibt er vorläufig auch erhalten – bis Ende nächsten Jahres. Dann gibt es laut Wellen-Chef Jochen Rausch einen „würdigen Abschied“. Danach ist für Domian Schluss. Denn: „20 Jahre Nachtschicht sind nicht spurlos an mir vorbeigegangen. Ich habe Lust, mal wieder häufiger die Morgensonne zu sehen.“

Rausch respektiert seine Entscheidung. Der Nacht-Talker habe „Großartiges“ geleistet. Was der Sender-Chef nicht sagte: Domian ist so schnell nicht zu ersetzen.