Köln.. In Emden wurde erst ein Mädchen ermordet, dann lief der Polizei der Fall aus dem Ruder. Ein junger Mann wurde zu Unrecht verdächtigt, von einem Mob gejagt. Jetzt macht TV-Produzent Michael Souvignier einen Film daraus, im Auftrag des TV-Senders Sat.1.

Kalt ist es in Köln, und trüb. Das Grau des schier endlosen Winters passt perfekt zu den Dreharbeiten im Flora-Viertel. Fernsehproduzent Michael Souvignier („Contergan“) und Regisseur Oliver Dommenget drehen für Sat.1 bis zum Ende dieser Woche einen Film, der sich an eine wahre Geschichte anlehnt. Im vorigen Jahr wurde im norddeutschen Emden die elfjährige Lena ermordet. Ein Verdächtiger stand schnell fest. Zu schnell, wie sich bald herausstellte. Für einen jungen Mann wurde der Verdacht zu einem 72-stündigen Alptraum.

Souvigniers Firma Zeitsprung hat ein gutbürgerliches, frei stehendes Haus mit rostbrauner Klinkerfassade angemietet. Im Film wohnt die Familie des zu Unrecht verdächtigen Jungen darin; sein Vater ist mittelständischer Unternehmer. Souvignier ist spezialisiert auf aufwühlende gesellschaftliche Themen.

Anonyme Kommentare im Netz schürten Lynch-Stimmung

Der Fall Lena empörte die Öffentlichkeit vom ersten Tag an. Der Fall begann mit einem Sexualmord: Ein Mädchen wurde tot in einem Parkhaus gefunden – missbraucht, ermordet. Was aber mindestens genau so schlimm war: Die Polizei präsentierte, nach einer Serie unfassbarer Pannen, bereits kurz nach der Tat einen jugendlichen Verdächtigen. Erst später stellte sich heraus, dass er unschuldig war. So kam Lynch-Stimmung auf, angeheizt durch die Anonymität, die soziale Netzwerke im Internet ermöglichen. Der wahre Täter wurde erst eine Woche gefasst.

Souvignier reizt die fiktionale Aufarbeitung der Vorgänge. „Der Fall ist komplex“, erzählt der 54-jährige gebürtige Essener am Set im Zimmer des verdächtigen Jungen zwischen Schulheften auf dem Tisch und Union-Jack-Poster an der Wand. „Wir zeigen die verschiedenen Blickwinkel; wir fällen keine Urteile.“ Was Souvignier besonders erschreckt hat, war die dunkle Seite des Internet.

Ein hochkarätiges Ensemble soll die emotionale Wahrhaftigkeit der Geschichte garantieren. Jonas Nay verkörpert den zu Unrecht verdächtigten Jungen. Der 22-jährige Jung-Schauspieler räumte für seine Rolle in dem ARD-Film „Homevideo“ nahezu alle deutschen Fernsehpreise ab. Seine Mutter spielt Annette Frier. Die Fachfrau für die komödiantischen Auftritte will zeigen, dass sie auch ernsthaft kann. Ihr Film-Gatte Götz Schubert gilt als der handfeste Vorzeige-Nachbar von nebenan.

Film will die Balance zwischen Krimi und Familiengeschichte halten

Bernadette Heerwagen hat eine schwierige Rolle übernommen – den Gegenpart der Familie. Die zierliche 35-Jährige steht wieder einmal als Polizistin vor der Kamera – aber nicht wie im Olympia-Film „München 1972“ als junge Beamtin, die bei dem Palästinenser Überfall auf die israelische Mannschaft Schlimmeres verhindert, sondern, im Gegenteil, als Fahnderin, die das Richtige will und das Falsche tut.

Heerwagen kann durchaus nachvollziehen, aus welchen Motiven heraus die Polizisten im wirklichen Fall handelte: „Es lagen Indizien gegen den Jungen vor; sie stand unter Druck, von den eigenen Kollegen, aber auch vom Bürgermeister und natürlich vom Mob da draußen.“ Über ihre eigene Motivation sagt die zweifache Grimme-Preisträgerin: „Die Rolle bietet mir die Möglichkeit auszuprobieren, wie schnell man in einer Art von Mobbing-Klima ist, in einem Klima der Selbstjustiz.“

Der Film will erklärtermaßen die Balance halten zwischen einer Familien-Geschichte, die Emotionen weckt, und einer Krimi-Geschichte, die Recht und Gerechtigkeit stimmig thematisiert. Regisseur Dommenget: „Wir haben uns von Juristen beraten   lassen. Wir haben uns beraten, wie sich Polizisten in derartigen Situationen verhalten sollten und wie sich Juristen verhalten sollten.“

Fakten füttern erfundene Geschichte

Souvignier und sein Team verwandeln die Fakten behutsam in eine erfundene Geschichte. Mit gutem Grund, wie der Produzent bekennt: „Die eindringlichsten und dramatischsten Geschichten schreibt das Leben selbst.“

Der Film – der Ausstrahlungstermin ist noch offen – trägt den Arbeitstitel „Nichts mehr wie vorher“. Tatsächlich geriet nicht nur das Leben des jungen Mobbing-Opfers aus der Bahn, sondern auch das seiner ganzen Familie.

Bis heute.