Essen.. Der Suizid des Schweizer Multimilliardärs Gunter Sachs macht deutlich, welche Ängste die Krankheit Alzheimer auslöst. Die Diagnose stürzt viele in ein Gefühl der Ausweglosigkeit. Die Statistik zeigt, die Suizidgefahr nimmt mit dem Alter zu.
Die erste Reaktion von Heike von Lützau-Hohlbein auf die Nachricht vom Suizid von Gunter Sachs war Respekt: „Es gehört Mut dazu, so aus dem Leben zu scheiden“, sagt die Vorsitzende der Deutschen Alzheimergesellschaft (DAlzG). Der Suizid von Gunter Sachs „ist kein Einzelfall“, sagt von Lützau-Hohlbein: „Es bringen sich vermehrt ältere Menschen um“. Aus Angst, sich rettungslos zu verlieren und Angehörigen damit womöglich zur Last zu fallen.
Die Krankheit Alzheimer wurde vor über 100 Jahren von dem deutschen Neurologen Alois Alzheimer erstmals beschrieben. Patienten sind vergesslich, leiden an Gedächtnisstörungen oder Denkschwierigkeiten. Heute weiß man, dass Eiweißablagerungen in bestimmten Teilen des Gehirns die dortigen Nervenzellen zerfressen. Die Krankheit, sagt von Lützau-Hohlbein, „ist nicht heilbar“. Und das Risiko an Alzheimer steigt mit zunehmendem Alter: Bei 80-Jährigen liegt es derzeit bei 20 Prozent. Bei 90-Jährigen sind es 30 Prozent.
Wenn Alzheimer festgestellt wird, ist laut Zahlen der Alzheimer-Gesellschaft, in 60 Prozent der Fälle die Erkrankung an einer Demenz die Folge. Besondere Risikofaktoren („Die bösen Fünf“) sind: Bluthochdruck, Diabetes, hohe Cholesterinwerte, Übergewicht und Rauchen, erklärt Dr. Wilhelm Stuhlmann, Gerontopsychologe und Vorsitzender vom Landesverband NRW der Alzheimergesellschaft.
1,2 Millionen Demenz-Erkrankte
Das größte Problem im Zusammenhang mit Alzheimer sei jedoch „die Tabuiisierung dieser Krankheit“, meint Stuhlmann. Das steigere die Angst vor einer Diagnose, weshalb Alzheimer in Deutschland „häufig nicht oder zu spät diagnostiziert wird“; etwa weil man sich vor der Untersuchung fürchtet. Stuhlmann: „Eine große Angst löst eine große Abwehr aus“. Je früher man sich jedoch der Erkrankung stelle, desto größer seien die Chancen, die Symptome zumindest zu verzögern.
Bundesweit sind etwa 1,2 Millionen Menschen an Demenz erkrankt. Jährlich kommen derzeit laut Statistik 220.000 neu Erkrankte hinzu. „Nicht jede Gedächtnisstörung ist gleich eine Demenz“, sagt Wilhelm Stuhlmann. Allerdings rufen Gedächtnisaussetzer in den meisten Fällen sofort Angst vor einer Demenz hervor. So, wie es offenbar auch bei Gunter Sachs gewesen ist.
Für den Krefelder Psychologen und Notfallpsychotherapeuten Jürgen Schramm birgt der Suizid des Schweizer Multimilliardärs und Lebemanns jetzt die Gefahr, „dass es Nachahmer gibt“. Zudem sind laut Schramm im Falle einer Selbsttötung oft auch die Angehörigen gefährdet: „Wenn etwa die zurückgelassene Ehefrau das starke Gefühl verspürt, bei ihrem Mann sein zu wollen“.
Angst, die Freiheit zu verlieren
Die Statistik zeigt, dass sich Suizide verlagern: Bei jüngeren Menschen sinkt der Trend, bei Älteren steigt er an. Laut den bis dato jüngsten Zahlen wurden im Jahr 2008 in NRW insgesamt 1594 Selbsttötungen registriert - die größte Gruppe davon waren Menschen über 70 Jahre. Experten sprechen in solchen Fällen vom „Bilanzsuizid“, sagt Schramm: „Eine Selbsttötung hat in der Regel eine lange Entwicklung.“ Was die Fälle eint: Betroffene „fühlen sich wie vor einer Wand in einer Einbahnstraße und sehen keinen Ausweg aus ihrem Unglück“. In 99 Prozent der Fälle bedrückt sie das Gefühl, „ihre Freiheit zu verlieren“. Bei Gunter Sachs war es wohl die Angst, körperlich und geistig zu verfallen und so die Kontrolle über sich aufgeben zu müssen und ein Pflegefalls zu sein.
Horrorfall Pflegeheim: Dass sich auch mit einer Demenz ein menschenwürdiges und selbstbestimmtes Leben führen lässt, dafür setzt sich Dirk Bohlmann ein, Geschäftsführer der Gelsenkirchener Firma Alternativ Wohnen ANW GmbH, die Wohngemeinschaften für Demenzkranke unterhält.
„Erfahrungen in den Niederlanden zeigen, dass es Demenzkranken viel besser geht, wenn sie in einer Gemeinschaft leben“. ANW bietet in Abstimmung mit großen Wohnungsanbietern im Ruhrgebiet WGs an, in denen bis zu neun Erkrankte sozial betreut zusammenleben. 22 solcher WGs gibt es mittlweile in Städten wie Marl, Herten oder Dortmund. „Unsere Bewohner kochen, singen, spielen gemeinsam und bestimmen ihren Alltag so weit wie möglich individuell“, beschreibt Bohlmann das Konzept, bei dem sich pflegende Angehörige ehrenamtlich in der Alltagsarbeit einbringen.
Seit 2007 ist Bohlmanns Firma mit diesem Angebot auf dem Markt. „Wir werden der Nachfrage mittlerweile nicht mehr gerecht“. 20 weitere WGs seien inzwischen im Ruhrgebiet geplant. „Das ist ein Modell mit Zukunft“, sagt Bohlmann. Zumal es laut Studien offenbar auch den Patienten gut tut. „Menschen in WGs leben länger als in anderen Pflegeeinrichtungen“. Und sie bräuchten "weniger bis gar keine Medikamente“. (mit lan/WE)