Trier.. Willkommen zur Wallfahrt im 21. Jahrhundert: Zu Tausenden pilgern die Menschen nach Trier, um eine uralte Reliquie zu sehen - den “Heiligen Rock“, der Legende nach ein Gewand, das Jesus bei seiner Kreuzigung getragen haben soll. Ein frommes Großereignis mit Event-Stimmung.

Ehrfurcht im Sekundentakt. Gänsehaut als Massenerlebnis. Tausende Menschen ziehen andächtig an dieser Glasplatte vorbei, schauen, staunen, drücken den Auslöser des Handys oder der Digitalkamera. Oder berühren dieses Glas, hoffen, dass sich die Kraft der Reliquie überträgt, Kraft vom „Heiligen Rock“ im Dom von Trier. Willkommen zur Wallfahrt im 21. Jahrhundert.

Zweieinhalb Stunden Schlangestehen fürs Seelenheil? Reliquien-Gucken für einen milderen Herrgott? Zieht das noch in diesen säkular geprägten Zeiten? Muss wohl. Denn allein am vergangenen Samstag pilgern gut 25 000 Menschen am Stoff vorbei.

„Ein so großes Treffen, das ist etwas, das ganz aus dem Alltag herausragt“, schwärmt die 19-jährige Katrin Schulz aus Mechernich. „Gut, da sind so viele Menschen neben einem, man muss schon ganz in sich selber flüchten, um so etwas wie Ergriffenheit zu spüren.“ Aber gespürt habe sie was, gesteht sie ein. Wallfahrt heute, das ist Abschalten vom Alltag.

Ein uraltes Kleid

Franziska und Joost Poelen aus den Niederlanden haben auch so etwas wie Ergriffenheit bei sich ausgemacht. Wallfahrt, was macht das aus? „Sich verbunden fühlen mit den anderen Christen“, sagt das Ehepaar. Wichtig sei nicht, ob der „Heilige Rock“ echt ist oder nicht. „Wichtig ist, dass es ein Symbol ist. Ein uraltes Kleid, das schon so viele Leute Jahrhunderte vor uns angeschaut haben.“ Wallfahrt, eine Brücke vom Gestern ins Heute.

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Der „Heilige Rock“ ist der Legende nach das Gewand, das Jesus bei seiner Kreuzigung getragen haben soll. Helena, die Mutter Kaiser Konstantins, brachte es im vierten Jahrhundert nach Trier. Heute hält nicht einmal die katholische Kirche daran fest, dass die Tunika echt ist. Es sei ein Christuszeichen, so drückt es Stephan Ackermann, Bischof von Trier, aus.

Ein dunkelbraunes T-Shirt

Ein dunkelbraunes, etwas lang geratenes T-Shirt aus einem sehr hart aussehenden Stoff, aber mit ungeheurer Anziehungskraft ausgestattet. Der Hauptmarkt gleich hinter dem Dom zeugt davon. Er ist trotz des Hagelsturms voll von Pilgern. Party-Stimmung zwischen Blumenständen. Auf der Bühne sind Oldies angesagt. Ältere Pilger, viele junge Familien mit Kindern, klatschen mit. Rock statt Heilig Rock. Nebenan am Sektstand genießen Wanderer im Namen des Herrn Geistiges im Glas. Eine Damentruppe des Katholischen Frauenbundes Deutschlands sitzt daneben im Café erst mal bei Kaffee und Sahnetorte.

Wallfahrt im 21. Jahrhundert, ein Kaffeeklatsch? Die Frauen winken entsetzt ab. „Nee, Wallfahrt ist doch zu erst ‘mal den Glauben stärken, Sich-Selbst-Finden, Gemeinschaft erleben“, stellt Lucia Kirsch, 58, klar. Erst Heilig-Rock-Gucken, dann freizügig Kuchen-Essen.

Für Stefan Lücke (46) und seinen Partner Karl-Heinz Schröder (41) aus Stuttgart ist Wallfahrt Heimat. Stefan Lücke stammt aus Trier. Hat das auch mit Glauben zu tun? „Nö. Für mich ist bedeutsam, dass schon so viele Menschen Jahrhunderte vor uns an das Gewand geglaubt haben.“ Wallfahrt im 21. Jahrhundert, das ist Frommsein, Gemeinschaft erleben, das ist auch Sekt, Rock und Event.