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Berlin. Schüler bewerten ihre Lehrer im Netz, Urlauber ihre Hotels – und Patienten ihre Ärzte. Der Medizinrechtler Wolf Constantin Bartha spricht heute bei der Online-Konferenz Re:Publica über dieses Thema. Für DerWesten erklärt er, was Patienten im Netz über ihren Arzt sagen dürfen - und was nicht.
Herr Bartha, sind „Gesundheit“ und „Internet“ nicht eine ziemlich heikle Kombination? Man googelt drei Symptome und plötzlich ist man überzeugt, man hat die Pocken.
Wolf Constantin Bartha: Wenn man zur Hypochondrie neigt, dann ist es in der Tat riskant, sich im Netz auf Gesundheitsseiten zu informieren. Aber das ist ja kein Grund, Gesundheitsthemen online nicht zu behandeln. Für eine bestimmte Altersgruppe ist das Internet inzwischen das ausschließliche Medium, um sich überhaupt zu informieren.
Medium und Nutzer müssen einfach zueinander passen. Auch ein Buch kann sich lohnen, wenn es den richtigen Blick bietet - liest allerdings ein Hypochonder ein Buch über die Pest, glaubt er vielleicht auch, sein Ort wird demnächst dahingerafft. Insofern ist das Internet bei Gesundheitsthemen nicht per se schlechter oder besser als andere Medien.
Gibt es denn Gesundheitsthemen, bei denen es sinnvoller ist als bei anderen, sich im Netz schlau zu machen?
Bartha: Ich würde von der Konsequenz für mich her überlegen, ob es passt. Also: Wenn ich –vielleicht nach einer ersten Netzrecherche – glaube, ich habe etwas, wo ich mir ohnehin nicht selber helfen kann, dann nutzt alles Surfen nicht. Da hilft ohnehin nur der Gang zum Arzt. Aber wenn es eine leichte Erkrankung ist, die zur Selbstbehandlung geeignet ist, dann lohnt es sich sicherlich, im Netz nach nicht verschreibungspflichtiger Medizin oder nach Hausmitteln zu suchen.
Als Jurist beschäftigen Sie sich unter anderem mit Portalen, auf denen Ärzte bewertet werden. Aber ein Patient erlebt doch immer nur einen einzelnen Arzt in einer einzelnen Situation. Lässt sich so etwas übertragen?
Bartha: Die Frage stelle ich mir auch, obwohl es zunächst keine Rechtsfrage ist. Es gibt namhafte Stimmen, die sagen, der Patient ist nicht in der Lage, das zu beurteilen. Das halte ich teilweise auch durchaus für richtig.
Bei einer OP zum Beispiel bekommen Sie den entscheidenden Teil der Arbeit eines Arztes nicht mit, schließlich sind Sie unter Vollnarkose. Sie können auch nicht sagen „Arzt A hat mir den Blinddarm schneller und schmerzfreier entfernt, als Arzt B“. Der Blinddarm ist weg, der Eingriff findet nur einmal statt.
Soweit das Gegenargument. Aber: Genau so gibt es aber auch Bereiche von Gesundheit und Heilung, die zu einem eher ganzheitlichen Medizinbegriff gehören. Es gibt viele Erkrankungen, wo „soft skills“ gefragt sind, insbesondere – sobald die Komponente „Psyche“ hinzukommt. Und da haben Studien durchaus gezeigt: Patienten lassen sich nicht von Hochglanz-Wartezimmern beeindrucken oder von der Frage, ob da Getränke gereicht werden.
Sie blicken auf die Wartezeit, die Zeit, die der Arzt sich nimmt und darauf, ob er auf sie eingeht. So etwas geht nur mit persönlicher Erfahrung, viel bessere Stimmen als die der Patienten werden Sie zu diesen Aspekten so schnell nicht bekommen. Und eine solche Rückmeldung von „Kunden“ auszublenden, das hieße, den Kernbereich eines Arztbesuchs ausblenden.
Haben die Betreiber eines Portals einen Einfluss darauf, wie nützlich ihr Angebot für die Besucher ist?
Bartha: Ja, die redaktionelle Ausgestaltung ist durchaus entscheidend. Steht da nur ein leeres Textfeld mit der Überschrift „Wie gut ist dieser Arzt“. Oder gibt es ein bestimmtes Schema, ein Raster, durch das der Patient geführt wird? Und wo er dann ganz detailliert angeben muss: Wie schnell bekam ich einen Termin? Wie lange musste ich warten? Hat sich der Arzt Zeit genommen etc. So etwas objektiviert und führt zu genaueren Angaben.
Was darf ich denn als Patient in einem Bewertungsportal sagen? Was muss ich als Arzt akzeptieren, dass Patienten über mich sagen?
Bartha: Da ist im Moment viel im Fluss. Zunächst einmal: Bewertungsportale sind explizit nicht verboten. Beim Lehrer-Bewertungsportal „Spickmich“ gab es Gerichtsentscheidungen, die den Portalbetreibern den Rücken gestärkt haben. Das lässt sich auf Arztbewertungsportale übertragen. In beiden Fällen wird das Recht auf freie Meinungsäußerung abgewogen gegen das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen.
Die Entscheidungen betonen, dass die freie Meinungsäußerung so lange vorgeht, wie nicht das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen nachhaltig geschädigt wird, zum Beispiel bei einer sogenannten Schmähkritik. Und auch dann ist die Folgerung nicht, dass das Portal geschlossen werden muss. Ein Arzt kann höchstens den Anspruch gegen den Betreiber haben, dass eine Bewertung gelöscht wird.
Können wir das mal an einem Beispiel durchgehen? Wenn nun jemand schreibt „Doktor Schmitz wollte offenbar lieber sein Röntgengerät amortisieren als mir zuhören“…
Bartha: …dann ist das heikel, weil dahinter die Behauptung steckt, dass aus Profitgier medizinisch nicht notwendige Leistungen erbracht wurden. Aber persönliche Wahrnehmungen ohne eine Wertung sind durchaus rechtlich möglich. Also zum Beispiel „Der Arzt war hektisch und ich fühlte mich abgefertigt“ oder „Der Arzt war schlecht gelaunt und hat mich nach zwei Minuten mit einem Rezept wieder rausgeschickt.“
Auch, wenn „hektisch“ ein subjektiver Eindruck sein kann?
Bartha: Das müssen Ärzte hinnehmen – selbst wenn sie es vielleicht sogar anhand der Patientenakte widerlegen könnten. Aber die Beiträge werden ja anonym oder allenfalls unter Usernamen eingestellt. Insofern haben die Ärzte nur bei Schmähkritik eine Handhabe – und da ist mein Eindruck, das die Portalbetreiber sehr besonnen und sensibel reagieren. Schließlich geht es auch um ihre Glaubwürdigkeit.
Zum Schluss noch eine Prognose, bitte: Ist das Thema Patientenportale ein Hype oder etwas Dauerhaftes?
Bartha: Nicht alles, was heute unter Web 2.0 fährt, wird auch etwas, an dem künftig niemand mehr vorbeikommt. Ich glaube, Bewertungsportale wird es künftig vielleicht nicht für jeden Fachbereich gleichermaßen geben – aber bei Allgemeinmedizinern, Zahnärzten und bei allen Eingriffen, die man planen kann.
Werdende Eltern, die sorgfältig auswählen möchten, wo sie ihr Kind zur Welt bringen möchten. Menschen, die erwägen, sich die Zähne bleichen zu lassen. Oder wenn Sie überlegen, sich die Augen Lasern zu lassen: Dann sprechen Sie mit Ihrem Augenarzt, aber Sie gucken auch im Netz. Natürlich wird aber kaum jemand vorsorglich googeln „Wer ist der beste Arzt bei Herzinfarkt?“. Im Sinne der Patienten hoffe ich, dass langfristig ein Dutzend gute, seriöse Portale übrig bleiben.