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Ob Intelligenz messbar ist, darüber streiten Wissenschaftler seit mehr als 100 Jahren. Unterschiedliche Messmethoden führten zu unterschiedlichen Ergebnissen und stifteten häufig eher Verwirrung als Hilfe.

Gerade Diskussionen über Intelligenz eignen sich gut dazu, dumme Denkfehler zu machen. Das hängt offenbar damit zusammen, dass niemand genau sagen kann, was Intelligenz eigentlich sein soll. Klar ist nur: Man meint damit im weitesten Sinn das intellektuelle Leistungsvermögen eines Menschen.

Irrtum Eins: Wir wissen, wovon wir reden, wenn wir über Intelligenz reden

Für’s Gehirnjogging gibt es mittlerweile spielerische Anreize.
Für’s Gehirnjogging gibt es mittlerweile spielerische Anreize. © ddp | ddp

In der Wissenschaft konnte man sich bis heute nicht auf eine allseits akzeptierte Definition einigen. Gibt es viele unterschiedliche Intelligenzen – mathematische, sprachliche, technische, musische, sogar soziale oder emotionale Intelligenz? Oder meinen wir doch eher etwas Allgemeines, das immer vorhanden ist, wenn wir von Intelligenz reden, und das sämtlichen Begabungen zugrunde liegt? Die Streitfrage ist so alt wie die Intelligenzforschung selbst, und beide Positionen haben auch heute prominente Vertreter.

Ein weiteres Problem: Sollen wir sämtliche intellektuellen Fähigkeiten als Intelligenz betrachten? Oder sind manche Fähigkeiten, die wie Intelligenz aussehen, nicht einfach nur das Resultat von Bildung und Lernen? Der Psychologe Raymond Cattell hat einst anschauliche Begriffe geprägt, um unterscheiden zu können: feste und flüssige Intelligenz. Die flüssige Intelligenz (logisches Folgern, Verarbeitungsgeschwindigkeit, Kurzzeitgedächtnis) betrifft die pure Leistungsfähigkeit des „Denkapparats“, ohne jedes Lernen. Die feste Intelligenz (oder kristallisierte) ist das, was man im Laufe des Lebens daraus macht – oder auch nicht. Nicht alle Wissenschaftler legen Wert auf diesen Unterschied.

In der neueren psychologischen Forschung hat eine völlig andere Betrachtungsweise von sich reden gemacht: der so genannte Informationsverarbeitungs-Ansatz, bedeutendster Vertreter ist Robert Sternberg. Intelligenz wird nicht wie eine fest stehende Eigenschaft betrachtet, sondern als Prozess. Die Art und Weise, wie man Informationen verarbeitet, macht den Unterschied aus. Intelligente Prozesse – zum Beispiel beim Schachspielen - laufen insgesamt mit weniger Aufwand ab, beanspruchen dafür am Anfang mehr Zeit für das „Einspeichern“: das genaue Verstehen und Analysieren des zu lösenden Problems.

So viele verschiedene Intelligenztheorien es gibt – noch größer ist die Anzahl der unterschiedlichen Intelligenz-Tests: mehr als 80. Schon in den 1920er Jahren resümierte Boring, Intelligenz sei halt immer gerade „das, was der jeweilige Intelligenz-Test misst.

Irrtum Zwei: Intelligenz lässt sich mit einem Test genau messen

Selbst wenn man sich auf eine verbindliche Definition einigen würde: Intelligenz lässt sich nicht messen wie Körpergröße oder Gewicht. Man kann sie lediglich erschließen – zum Beispiel durch die Menge der gelösten Aufgaben eines Tests. Und die wiederum interessiert nur im Vergleich. Intelligenz lässt sich nur deuten als Leistungsunterschied zur Leistung einer vergleichbaren Bevölkerungsgruppe. Bei Kindern und Jugendlichen ergibt sie sich aus dem Vergleich mit Kindern desselben Alters: Selbst Einstein konnte mit vier Jahren noch keine Differentialgleichungen aufstellen:

Die Art der Testaufgaben hängt ab von der jeweils zugrunde gelegten Intelligenztheorie. Die meisten Intelligenztests enthalten Untertests, die verschiedene Teilfähigkeiten prüfen: Rechnerisches Denken, logisches Schlussfolgern, Sprachverständnis, räumliches Vorstellungsvermögen, Gedächtnisleistung, Verarbeitungsgeschwindigkeit, allgemeines Wissen.

Als bensonders intelligent gelten in der Tierwelt die Papageienvögel
Als bensonders intelligent gelten in der Tierwelt die Papageienvögel © ddp | ddp

Einige der Aufgaben lassen sich auch ohne Sprachkenntnisse bewältigen: zum Beispiel Bilder ergänzen, Figurenlegen oder das Prinzip von Symbolfolgen erkennen. Die meisten Aufgaben allerdings erfordern das Beherrschen der Sprache des Tests. Wortschatzaufgaben, Zahlen nachsprechen, Gemeinsamkeiten entdecken, Sätze ergänzen, Wörter auswählen, Analogien finden, Allgemeinwissen, eingekleidete Rechenaufgaben. Sogar Fragen, in denen es ausschließlich um logisches Folgern geht, sind ohne vollständige Vertrautheit mit der Sprache nicht richtig zu lösen: siehe Beispiele unten.

Daher sind sprachfreie („culture-fair“) Intelligenz-Tests entwickelt worden, die unabhängig vom kulturellen Hintergrund nur die „flüssige“ Intelligenz messen sollen: logisches Schlussfolgern und Regel erkennen (siehe Beispiel unten). Allerdings muss man dabei wichtige Aspekte der Intelligenz außer acht lassen, unter Umständen ausgerechnet die besonderen Stärken der getesteten Person.

Abgesehen von diesem Dilemma: Die Ergebnisse eines Intelligenztests taugen nicht als Maß für die gesamte geistige Leistungsfähigkeit, wie die psychologischen Diagnostik immer wieder betont. Besonders bei Kindern reicht es nicht aus, einen Test zu machen. Das Verhalten insgesamt muss beobachtet werden.

Irrtum Drei: Intelligenz zeigt sich in den Schulnoten

Wer beim Test im mathematischen Denken sehr gut abschneidet, hat nicht automatisch sehr gute Schulnoten im Fach Mathe. Obwohl der Zusammenhang zwischen Intelligenz und Mathenote immer noch höher ist als bei anderen Fächern. Mit der Schulleistung insgesamt wird er je nach Studie auf 0.5 bis 0.6 geschätzt, das bedeutet, die Schulleistung lässt sich umgerechnet nur zu 25 % bis 36 % durch den IQ vorhersagen. Für den Erfolg in der Schule reicht Intelligenz nicht aus. Ebenso gehören dazu Lernbereitschaft, Ausdauer und Interesse, aber zum Beispiel auch eine ausgeglichene möglichst stressfreie Lebenssituation.

Wenn man mathematisch gut denken kann, garantiert dies nicht den Erfolg in der Schule. Foto:ddp
Wenn man mathematisch gut denken kann, garantiert dies nicht den Erfolg in der Schule. Foto:ddp © ddp | ddp

„Underachiever“ nennt man Schüler, die schlechtere Schulnoten erreichen, als es ihrer Intelligenz nach eigentlich zu erwarten wäre. Gerade in solchen Fällen kann ein Intelligenztest sinnvoll sein, um die geringe Übereinstimmung von Leistung und IQ aufzudecken.

Erschreckend: Für den Erfolg in Schule und Uni ist Intelligenz wenigstens noch erforderlich, aber der Zusammenhang zwischen IQ und späterem Berufserfolg wird in kognitionspsychologischen Studien zur Begabungsforschung („Expertiseforschung“) als eher gering eingeschätzt. Aber vielleicht auch tröstlich. Eine nicht so überragende Intelligenz lässt sich durch genügend Arbeit und Anstrengung kompensieren. Dafür gibt es viele prominente Beispiele.

Irrtum Vier: Man kann ausrechnen, wie viel Prozent der Intelligenz man geerbt hat

Ob eher Erbanlagen oder Umweltbedingungen für die Intelligenz verantwortlich sind, und in welchem Ausmaß, ist immer noch eine der großen Streitfragen in der Psychologie. Was die Sache so kompliziert macht, ist das Zusammenwirken beider Einflüsse („Anlage-Umwelt-Interaktion“): Normalerweise werden wir von denselben Menschen erzogen, deren Gene wir geerbt haben.

Die berühmten Zwillings-Studien (Zwillinge, die bei der Geburt getrennt wurden und in unterschiedlichsten Milieus aufwuchsen) konnten methodisch nie vollständig überzeugen.

Aus den Daten ergeben sich Schätzungen, die Intelligenzunterschiede zu 40 bis 70 % auf Vererbung zurückführen. Bei der Interpretation wird dabei gern ein Denkfehler gemacht. Die Folgerung, ein einzelner Mensch hätte seine Intelligenz zu beispielsweise 70 Prozent geerbt, ist statistisch unsinnig. Lediglich bei einer größeren Gruppe von Menschen kann man errechnen, aufgrund welcher Einflüsse nicht alle denselben IQ haben („Varianz-Aufklärung“)..Über den Einzelfall sagt das aber nichts aus.

Irrtum Fünf: Der durchschnittliche IQ der Gesamtbevölkerung steigt oder fällt

Der IQ ist kein Wasserpegel, sondern er gibt an, wo jemand steht im Vergleich zu den anderen. Je nach Referenzgruppe ergibt dieselbe Leistung einen unterschiedlichen IQ-Wert.

Ein IQ-Test ist nur ein Vergleichstest. Foto: ddp
Ein IQ-Test ist nur ein Vergleichstest. Foto: ddp © ddp | ddp

Den IQ (= Intelligenz-Quotienten) in seiner ursprünglichen Fassung erfand vor etwa 100 Jahren der Hamburger Psychologe William Stern. Er wollte den Entwicklungsstand von Kindern in Zahlen ausdrücken. Dazu griff er die Idee seines französischen Kollegen Alfred Binet auf, bestimmte kognitive Fähigkeiten eines Kindes zu testen und das resultierende „Intelligenzalter“ des Kindes mit seinem tatsächlichen Alter zu vergleichen. Ist das Kind weiter als Gleichaltrige? Liegt es in der Entwicklung zurück? Oder entsprechen seine kognitiven Fähigkeiten genau seinem Alter?

Stern dividierte das Intelligenzalter durch das Lebensalter; nur wenn beide gleich sind, wird dieser Quotient genau Eins. Andernfalls ein wenig größer – oder auch kleiner. Um ganze Zahlen zu erhalten, wurde der Quotient noch mit 100 multipliziert. So erhält jeder einen IQ von 100 (1,0 mal 100), der exakt so viel kann wie es seiner Vergleichsgruppe entspricht. Logischerweise ist also 100 der häufigste Wert. Es ist das Ergebnis, das per Definition die meisten Menschen erzielen, die „Norm“. Zwei Drittel aller Menschen liegen in ihrem Wert nicht weit davon entfernt: nicht unter 85, nicht über 115. Je mehr ein Ergebnis von diesem mittleren Bereich entfernt ist, desto seltener ist es. Nur ganz wenige Personen erzielen extrem niedrige und nur ganz wenige Personen extrem hohe Werte. Wer über 130 hat, gilt als „hochbegabt“.

IQ-Tests folgen bewährtem Prinzip

Auch die heutigen Tests – längst wird der IQ ja auch bei Erwachsenen ermittelt - basieren auf diesem Prinzip: Vergleich mit dem Normalwert. Daher kann der IQ einer Gesamtbevölkerung nicht steigen oder fallen. Der häufigste Wert ist immer der häufigste Wert. Allerdings müssen alle Intelligenztests mindestens alle 10 Jahre neu geeicht („normiert“) werden. Es muss nachgeschaut werden, was denn die meisten Menschen gegenwärtig alles können. Dabei stellte man fest, dass sie in den Industrienationen bis in die 1990er Jahre hinein offenbar beim Lösen der Testaufgaben immer besser wurden („Flynn-Effekt“), seitdem jedoch scheinen die Grenzen des Wachstums erreicht.

Dass hier genetische Ursachen (Vererbung) im Spiel sein sollten, ist höchst unwahrscheinlich. Nicht nur, weil sich diese in weitaus längeren Zeiträumen abspielen. Der Flynn-Effekt zeigte sich vor allem bei den unterdurchschnittlichen IQ-Werten, es gab weniger richtig schlechte Ergebnisse, und das verzerrte die Kurvenform der so genannten Normalverteilung.

Der gesamten Intelligenz-Testung lag bislang die Annahme zugrunde, die Abweichungen vom Mittel seien „normalverteilt“: In Form einer Glocke, schön symmetrisch, verteilen sie sich auf ganz viele kleine und nur sehr wenig große nach oben und nach unten. Dies ist typisch für biologische Phänomene, bei denen Zufallsschwankungen eine wichtige Rolle spielen.

Wenn die Beobachtungen auf einmal davon abweichen, kann das auf andere, nämlich kulturelle Einflüsse hindeuten. Bildungsanstrengungen, die etwas bewirken, könnten sich tatsächlich mal als Verformung der „Zufallskurve“ ausdrücken. Wäre schön! Verdummungsfaktoren in der Umwelt aber auch. Medienwissenschaftler zum Beispiel sagen uns eine Gesellschaft voraus („Wissenskluft-Hypothese“), in der es alles andere als eine Normalverteilung gibt, sondern nur noch sehr kluge, hochgebildete Menschen und viele sehr dumme, ungebildete Menschen. Wir tun unser Bestes, dagegenzuhalten.