Brüssel. .

In der belgischen katholischen Kirche war Kindesmissbrauch über Jahrzehnte hinweg häufig verbeitet. Zu diesem Ergebnis kommt eine Kommission, die im Auftrag der Bischofskonferenz die Kinderschänderei durch katholische Geistliche untersucht hat.

„Dutroux in der belgischen Kirche” – das hat sich nicht die Sensationspresse ausgedacht. Das Zitat stammt von Peter Adriaenssens, dem Vorsitzenden einer Kommission, die im Auftrag der Bischofskonferenz den Missbrauch von Kindern durch katholische Geistliche in Belgien untersucht hat. Die Ergebnisse verstören das Land: In den Nachkriegsjahrzehnten war Kinderschänderei keine entsetzliche Einzeltat, sondern ein geläufiges Verbrechen, das offenbar von hunderten Priestern und Kirchenbediensteten verübt wurde, oft über lange Zeit und immer wieder. Viele Vorgesetzte wussten Bescheid, ließen aber Beschwerden von Betroffenen oder Angehörigen auf sich beruhen. Die meisten Taten sind mittlerweile verjährt.

In jeder Gemeinde in Pädophiler

„In jeder flämischen katholischen Schule mit Internat, in jeder Kirchengemeinde saß ein pädophiler Geistlicher”, sagte der Kinderpsychiater Adriaenssens bei der Vorlage seines Berichts. „Und all die Jahre hat man geschwiegen, das Problem verdängt, das Trauma geleugnet.” Dabei handle es sich „um schwere Fälle”. Das jüngste Opfer war erst zwei Jahre alt.

Der Rapport verzeichnet 327 männliche und 161 weibliche Opfer, heute zwischen 40 und 70 Jahre alt. Die meisten haben erst nach Jahrzehnten, in einem veränderten gesellschaftlichen Klima, den Mut gefunden, ihre Geschichte zu erzählen. Für viele war der Anstoß die Berichterstatttung über die pädophilen Vergehen des Erzbischofs von Brügge, der im Frühjahr zurücktreten musste. Die überwiegende Anzahl der Fälle spielte sich in den Jahren 1950 bis 1989 ab. Mindestens 13 Betroffene haben sich nach Darstellung ihrer Angehörigen wegen des Traumas umgebracht. Aus Flandern wurden zehnmal so viele Vergehen gemeldet als aus der Wallonie. Nach Ansicht von Experten hat das mit einem dichteren Netz von Internaten im Norden des Landes zu tun. Außerdem sei dort nach dem Pädophilie-Skandal in Brügge die Bereitschaft, sich zu melden, größer.

„Ich wurde jede Woche brutal missbraucht“

Der Bericht beginnt mit 124 Erzählungen, in denen Opfer über das Erlebte berichten. „Ich bin jede Woche brutal missbraucht und vergewaltigt worden. Ich erinnere mich auch an eine sadistische Nonne, die regelmäßig die Vergewaltigung beobachtete und meine Schmerzen genoss“, heißt es da. Die Lektüre der Aussagen sei „ein Schlag in die Magengrube“, erklärte Adriaenssens. Ein männliches Opfer berichtet: „Ich war elf, als von einem Priester in der Gemeindeschule missbraucht wurde. . . Während meiner Zeit im Internat wurde ich ebenfalls von einem Pater missbraucht, zwischen meinem 12. und 14. Lebensjahr. Der Betreffende ist lange tot. Seine Neigungen waren bekannt, es gab weitere Opfer. Meine Eltern haben das dem Gemeindevorstand gemeldet, aber man hat ihnen nie wirklich zugehört.”

„Ein Erdbeben” urteilt die Tageszeitung Le Soir. Chefredakteurin Béatrice Delvaux erinnert ebenfalls an den Kinderschänder Marc Dutroux, dessen Greueltaten das Land 1996 erschütterten. Der Dutroux-Skandal habe von Grund auf die Art und Weise verändert, wie die Gesellschaft ihre Kinder schütze, schreibt Delvaux. „Nur die Kirche und ihre Verantwortlichen fühlen sich davon nicht betroffen.”

Dass die meisten Vorkommisse lang her sind, ist nach Ansicht Adriaenssens kein Grund zur Beruhigung. Natürlich sei das Bewusstsein für Kinderechte mittlerweile schärfer. „Aber nichts deutet daraufhin, dass der Anteil der Pädophilen abnimmt. Wo sind die heute? Wir müssen unsere Kinder schützen.”